01. Juni 2023


Was letzte Preis?

In einem meiner letzten Newsletter war das Motto

"Bei den meisten Finanzdebatten reden Menschen mit unterschiedlichen Zeithorizonten aneinander vorbei."

Heute, am 1. Juni 2003 um 8 Uhr, 27 Minuten und 46 Sekunden ist ein Anteilsschein meines Xtrackers MSCI World ETFs mit der WKN A1XB5U 81,599 Euro wert. Dank meines Sparplans besitze ich 43,564 Anteile, mein Depot ist 3.554,778836 Euro wert.
Doch halt, was ist das: Wir schreiben 8 Uhr, 30 Minuten und 51 Sekunden und ein Anteilsschein ist nun 81,635 Euro wert.
Innerhalb von 3 Minuten und 5 Sekunden ist mein ETF-Vermögen um 1,568304 Euro gestiegen. Ein Plus von 0,0441 % in drei Minuten.
Wie kommt’s?

  • Um 8:27:46 gab es jemanden, der bereit war für 81,599 € zu verkaufen und es gab jemanden, der bereit war für 81,599 € zu kaufen. Also: Deal! Und auf der Kurstafel werden die Preise aktualisiert. Blink, blink, jetzt ist ein Xtrackers 81,599 € wert.
  • Gut drei Minuten später haben sich wieder zwei gefunden. Der eine ist bereit für 81,635 Euro zu kaufen und der andere ist bereit für 81,635 Euro zu verkaufen. Wieder: Deal! Und wieder wird die Kurstafel aktualisiert.

Wer sind diese beiden?
Die Chancen stehen gut, dass es Daytrader sind.
Warum?

Nehmen wir an, Sie wollen kaufen. Wer verkauft?

  • Entsparer. Menschen, die dabei sind ihr ETF-Vermögen aufzuzehren. Sie verkaufen in regelmäßigen Intervallen (monatlich, quartalsweise, jährlich).
  • Privatanleger, die umschichten. Umschichten bedeutet nicht traden. Man schichtet um, aber dann ist auch wieder gut.
  • Institutionelle Anleger, die umschichten. Diese Anleger kommen zwar mit größeren Summen an die Börse, aber auch nicht regelmäßig.
  • Trader. Je nach Handelsstrategie halten diese Leute ihre Positionen ein paar Minuten oder ein paar Monate.

Der Trader macht den Preis

Daytrader haben einfach die höchste Handelsfrequenz. Der Entsparer verkauft immer am ersten Montag des Monats um 10:00 Uhr. Wenn Sie dann nicht zur Stelle sind, wird wohl der Daytrader ihr Handelspartner sein.
Und jetzt kommen die unterschiedlichen Zeithorizonte ins Spiel.
Der Zeithorizont eines Daytraders reicht von der Wand bis zur Tapete. Wenn der Kurs in drei Minuten hinreichend gestiegen ist, wird verkauft. Ein Daytrader ist vollkommen abstrakt unterwegs. Was er da handelt, ist ihm vollkommen egal. Gesamtwirtschaftliche Perspektiven, nächster Quartalsbericht, Name des Vorstands, Produktpalette… alles vollkommen uninteressant. Es geht nur um die aktuelle Transaktion: Werde ich das Ding, das ich für X gekauft habe, für X+1 wieder los.

Hier spricht der Preis

Diese Preisfixiertheit bedeutet: Sie lassen es zu, dass Menschen den Wert Ihrer Altersvorsorge bestimmen, die einen vollkommen anderen Zeithorizont haben als Sie. Den letzten Preis haben höchstwahrscheinlich zwei Trader unter sich ausgemacht. Und diesen Preis nehmen Sie dann als Maßstab dafür, ob es reichen wird im Alter?
Womöglich hat der eine mit aller Macht versucht, mit Verlust zu verkaufen, um seine Quartalsergebnisse aufzupeppen.
Hä, Quartalsergebnisse durch Verluste aufpeppen?
Ja, warum nicht. Verluste auf der einen Seite lösen steuerlichen SubventionsAbschreibungsbedarf an anderer Stelle aus und schon rechnet sich das. Wissen Sie, was die einzelnen Marktteilnehmer konkret motiviert?
Das ist der Grund, warum wir Finanzblogger immer "langfristig" und "durchschnittlich" predigen. Irgendwann ist Schluss mit dem "Wenn Preis und wirtschaftliche Realität nicht zusammenpassen - umso schlimmer für die Realität". Am Ende setzt sich die Schwerkraft immer durch.

Fazit

Wenn Anleger unterschiedliche Zeithorizonte haben - und das ist in jeder Anlageklasse der Fall - können Preise, die dem einen lächerlich erscheinen, für den anderen sinnvoll sein.
Dieser Satz läßt sich verallgemeinern: Menschen haben unterschiedliche Ziele und Zeithorizonte im Leben. Deshalb können Verhaltensweisen, die dem einen irrational erscheinen, für den anderen absolut rational sei sein.
Wenn Sie fragen: "Was letzte Preis?" machen Sie den Bock zum Gärtner.

(awa)

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