08. Dezember 2023


Was bewegt den Anleihenkurs?

Die Null- und Negativzinsphase haben wir hinter uns gelassen, Zeit für einen kleinen Auffrischungskurs "Die Anleihe, das unbekannte Wesen".

Geschäftsmodell Anleihe

Jemand braucht Geld. Beim Geldleihen gibt es drei Eckpunkte

  1. Wie viel?
  2. Bis wann? Das ist die Laufzeit, wann muss das Geld zurück gezahlt werden?
  3. Zu welchem Preis? Das ist der Zinssatz.

Unterschied Kredit / Anleihe

  • Anleihe: Ein Schuldner, viele Gläubiger, Kredit: Ein Schuldner ein Gläubiger
  • Im Gegensatz zu einem Kredit - der eine Sache zwischen Schuldner und Bank ist - sind Anleihenanteile an der Börse handelbar.

Anleihenkurse

Im einfachsten Fall bestimmen diese Parameter die Anleihe

  1. Stückelung, sagen wir 100 Euro, auch Nennwert genannt.
  2. Zinssatz, in diesem Beispiel 2 %
  3. Laufzeit, in diesem Beispiel 5 Jahre
  4. Kurswert

Während die Parameter eins bis drei fix sind, ist der Kurs variabel. Die Rendite einer Anleihe hängt vom Kurs ab. Eine Anleihe startet ihr Leben "zu hundert", also zum Nennwert. Ich zahle 100 Euro für einen Anteilsschein im Wert von 100 Euro und bekomme fünf Jahre lang jedes Jahr 2 Euro Zinsen. Bei Endfälligkeit bekomme ich meine 100 Euro zurück.
Zwei Prozent Rendite wie versprochen, was geht mich der Kurs an?
Wenn Sie eine Anleihe von der Geburt bis zum Tod halten, dann ist Ihnen der Kurs tatsächlich egal. Aber wer kann das schon als Normalsterblicher? Große institutionelle Anleger, wie beispielsweise Ihr Riesterversicherer machen so etwas. Wenn wir eine Anleihe oder einen Anleihe-ETF kaufen möchten, müssen wir an die Börse. Und da spricht der Preis.
Setzen wir unser Gedankenexperiment fort:
Nach drei Jahren steigen die Zinsen. 3 % das neue 2 %.
Was passiert mit der alten Anleihe?
Der Kurs sinkt, denn das ist der einzige Freiheitsgrad, den die Anleihe hat. Laufzeit und Zins sind ja fix.

  • Alte Anleihe: Restlaufzeit: 2 Jahre, macht 2 * 2 € = 4 € Zinsen
  • Neue Anleihe: Ich bekomme in den ersten zwei Jahren: 2 * 3 € = 6 € Zinsen

Was tun? Das was immer hilft: Rabatt geben. Wenn der Kurs der Altanleihe um 2 Euro sinkt, herrscht Waffengleichheit.

  • Altanleihe nach 2 Jahren: 4 Euro Zinsen und gekauft zu 98, macht dann bei der Rückgabe auch 6 Euro Gewinn. Zurückgezahlt wird der Nennwert und auch die Zinsen beziehen sich immer auf den Nennwert.
  • Neuanleihe: 2 Jahre je 3 Euro Zinsen.

Der umgekehrte Fall: Die Zinsen fallen. 1 % ist das neue 2 %.
Was passiert? Der Kurs steigt.

  • Altanleihe: 4 Euro in 2 Jahren.
  • Neuanleihe: 2 Euro in 2 Jahren - solange der Kurs der der Altanleihe nicht über 102 steigt, bin ich dabei.

Genau dieses Szenario hatten wir die letzten 40 Jahre. Und deshalb waren Anleihen so gut im Depot. Bei jeder Zinssenkung gewannen die bestehenden Positionen. Jetzt hat sich das aber umgekehrt. Zur Verdeutlichung ein Extrembeispiel: Die hundertjährige Österreichanleihe.

  • Laufzeit: 20.09.2017 - 20.09.2117
  • Zinssatz: 2,1 %
  • WKN: A19PCG
  • Aktueller Kurs: 74 %, Tiefstkurs am 11. Oktober: 65 % - das bedeutet: Sie kaufen aktuell an der Börse 100 Euro Nennwert für 74 Euro, bekommen dann bis 2117 jedes Jahr 2,10 Euro Zinsen und im September 2117 gibt’s dann 100 Euro zurück.

Je länger die Laufzeit, umso heftiger die Kursschwankungen. Und die bange Frage: Wo Alpen? Wird es Österreich in 94 Jahren überhaupt noch geben?

Alles gelogen!

Na ja, nicht gelogen, aber auch nicht ganz wahr. So eine Anleihe hat nämlich ein Problem: Sie kommt mit einem Emissionsprospekt und in diesem Vertragswerk können Sie alles Mögliche vereinbaren: Ausgabe zu 90, keine Zinsen, dafür Rücknahme zu 100, Zinsen nur, wenn der Dienstag auf einen Mittwoch fällt und wenn der schwarzer Schwan kommt, wird die Anleihe zur Aktie.
In diesem Artikel geht’s mir aber ums Prinzip und dass lässt sich anhand einer Feld-Wald-und-Wiesen-Anleihe am besten erklären. Grob vereinfachend, ja, aber prinzipiell richtig. Das ist das Motto dieses Artikels.
Grundsätzlich ist es immer Geld gegen Zinsen. Mal mit mehr und mal mit weniger Fallstricken.
Bei Anleihen gilt: Caveat emptor - das ist bildungsbürgerlich für "der Käufer möge sich vorsehen".

Was ist mit Anleihen-ETFs?

Anleihen-ETFs kaufen sehr oft Laufzeitbänder. Nehmen wir als Beispiel den ETF iShares Euro Corporate Bond 1-5yr (WKN: A0RPWQ). Dieser ETF kauft Unternehmensanleihen mit einer Laufzeit von einem bis fünf Jahren. Folgende Anleihen kommen in Frage

  • Neu aufgelegte Anleihen mit einer Laufzeit zwischen einem und fünf Jahren.
  • Altanleihen mit einer Restlaufzeit von einem bis fünf Jahren. Die Anleihe selbst mag 2012 mit einer Laufzeit von 15 Jahren aufgelegt worden sein. Da die Restlaufzeit 2023 noch 4 Jahre beträgt, passt sie ins Beuteschema des ETFs.

ETFs ohne Laufzeitleitplanken, wie der iShares Core Euro Government Bond (WKN: A0RL83) invesiteren breit. Dieser ETF besitzt ein ganzes Bündel an Anleihen mit einer Laufzeit von einem bis über dreißig Jahren.

Egal ob Laufzeitband oder nicht: Anleihen mit einer Restlebensdauer von weniger als als einem Jahr gelten als Geldmarkt-Produkte. Ein anständiger Anleihen-ETF hält so was nicht. Das bedeutet: Keine Rückgabe zum Nennwert - jeder Anleihen-ETF ist voll dem Kursrisiko ausgesetzt.

Fazit

  1. Steigt der Leitzins, sinken die Kurse von Anleihen und umgekehrt.
  2. Je kürzer die Laufzeit einer Anleihe, umso unempfindlicher ist sie gegen Zinsschwankungen. Bei kurzen (Rest-)Laufzeiten ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sich der Leitzins vor Ende der Laufzeit drastisch verändert.
  3. In Zeiten steigender Zinsen sollte die durchschnittliche Kapitalbindungsdauer (Duration) von Anleihen in etwa dem Anlagehorizont entsprechen, damit das Zinsänderungsrisiko nicht zu hoch wird.
  4. Je tiefer der Zinssatz, den der Emittent einer Anleihe während der Laufzeit zahlt und je länger die Laufzeit einer Anleihe, desto höher ist in der Regel die Duration, also auch das Zinsänderungsrisiko. Bewiesen durch die hundertjährige Österreichische.

(awa)

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