24. Juni 2015


Wie werden Tagesgeldzinsen gemacht?

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie eigentlich Tagesgeld- oder Festgeldzinsen festgelegt werden?
Wieso zahlt die eine Bank fast nichts, während die andere 1,2 % herausrückt?

Nehmen wir eine der Autobanken als Beispiel, denn die zahlen immer noch die höchsten Tagesgeld-Zinsen.

Avenue du Pavé-Neuf, 93168 Noisy-le-Grand Cedex, Frankreich, Sitz der Muttergesellschaft der Renault Bank Direkt. Man trifft sich zum jährlichen Planungs-Meeting.
Die Marketing-Mädels, vertreten durch Directrice Général Madame Dupont, haben einen Bedarf von 20 Millionen Euro angemeldet. Sie brauchen das Geld, um damit ihre Leasing-Verträge und die ganzen 0%-Finanzierungen an den Start zu kriegen.
Die Renault-Banker schauen sich ihre Bilanzen an, kalkulieren den Cashflow und kommen zu der Erkenntnis: 10 Millionen haben wir selbst, die anderen 10 Millionen müssen wir uns irgendwie besorgen.
Madame Dupont merkt noch an:"Die ersten 5 Millionen brauchen wir im ersten Quartal, die restlichen 5 könnt ihr dann übers Jahr verteilt einsammeln."
Kein Problem für die Banker. Sie haben Erfahrung und wissen: Dieses Geld sammeln wir auf dem deutschen Tagesgeldmarkt locker ein.
Bei den ersten 5 Millionen pressiert’s etwas, also hebt man den Zins um zwei Zehntel an (1,2 % statt 1 %) und startet eine Vermarktungskampagne über die ganzen Vergleichsportale.
Wenn die ersten 5 Millionen voll sind, geht man wieder auf 1 % Zinsen zurück und stoppt die aktive Vermarktung.

Banken horten kein Tagesgeld, sondern sie wissen sehr genau

  • wie viel Geld sie
  • bis wann
  • für welchen Zweck brauchen.

Mehr sammeln sie auch nicht ein.

Zinsen sind für die Banken Geld-Akquise-Kosten und die sollen natürlich möglichst gering sein.

Neugierige Zwischenfrage: Für welche Zwecke könnte die Bank mein Tagesgeld denn sonst noch so einsetzen?

Mir fallen diese Beispiele ein:

  1. Wenn die einsammelnde Bank eine Geschäftsbank ist, wird sie das Tagesgeld als Kredit an ihre Kunden ausreichen.
  2. Es gibt Banken, die Handelsgeschäfte finanzieren. Wenn ein europäischer Händler in China zehn Container mit Waren ordert, will der chinesische Produzent vorab bezahlt werden. Dieses Geld hat der Händler nicht, also organisiert er sich einen Warenkredit bei einer Handelsbank.
  3. Eine Bank möchte neue Produkte fern vom Heimatmarkt testen. In Irland teilen sich drei Banken – Allied Irish Banks, Bank of Ireland und Permanent TSB – den Markt. Wenn der eine etwas ausprobiert, kopieren es die anderen beiden sofort. In Deutschland können die Iren in Ruhe neue Produktvarianten testen und dann entscheiden, ob sie damit in Irland an den Start gehen wollen.
  4. Die Bank kann das Geld auch im Eigenhandel einsetzen und damit an der Börse auf eigene Rechnung spekulieren.
  5. Die Bank hat den politischen Auftrag, Devisen einzusammeln. Bei Banken wie der russischen Sberbank, die vom Staat kontrolliert werden, bin ich mir nicht so sicher, ob nicht doch ein Teil des deutschen Tagesgeldes im Donbass landet.

Fazit

  1. Die Banken holen sich soviel Geld, wie sie brauchen, und nicht soviel, wie Sie gerne anlegen möchten.
  2. Die Höhe der Zinsen hängt von Angebot und Nachfrage ab.
  3. Es gibt kein Menschenrecht auf gut verzinstes Tagesgeld.

(awa)

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Kommentare

Finanzkoch sagt am 24. Juni 2015

Hallo Finanzwesir,

nach dem Artikel frage ich mich, ob ich mein Tagesgeldkonto schließen sollte. Kann eine Bank Tagesgeld wirklich für Eigenhandel einsetzen? Damit habe ich mich noch nie beschäftigt.

Viele Grüße Finanzkoch


Finanzwesir sagt am 24. Juni 2015

Hallo Finanzkoch,
ich habe noch in keiner Bank-AGB einen Hinweis auf die Mittelverwendung gefunden.
Du gibst Dein Geld ab, bekommst Zinsen und im Falle eines Falles greift der Einlagensicherungsfonds. So geht der Deal.
Was die Bank mit dem Geld macht, ist ihre Sache. Sie kennt die Risiken und muss entsprechende Maßnahmen ergreifen. Ob in diesem Szenario der Eigenhandel so viel kritischer zu sehen ist, als eine große Handelsfinanzierung oder viele Geschäftskredite, die bei einer Flaute faul werden, kann ich von außen nicht beurteilen.

Wenn man hört "Tagesgeld ist sicher", denkt man immer an einen großen Tresor, vor dem schwerbewaffnete Wachtposten stehen und die Bündel an Tagesgeld bewachen.
In Wirklichkeit stehen in irgendeiner Datenbank ein paar Nullen und Einsen und das Geld geht einer risikoreichen Beschäftigung nach. Sonst kann es nicht

  • seine Mietkosten (den Tagesgeld-Zins, den Du bekommst)
  • die operativen Kosten der Bank (Gehälter & Infrastruktur)
  • den Profit für die Bank

erwirtschaften.

Gruß
Finanzwesir


Odensee sagt am 24. Juni 2015

Hallo Finanzwesir,

Es gibt kein Menschenrecht auf gut verzinstes Tagesgeld... richtig. Aber es gibt Vergleichsportale, die einen gute Angebote finden lassen. Und nicht vergessen: die "3% bei Depotwechsel-Angebote".

Aber was kann ich, als Anleger, aus deinem Beitrag lernen?

Gruß

Odensee


Finanzwesir sagt am 24. Juni 2015

Hallo Odensee,
was die Depotwechsel-Angebot angeht: http://www.finanzwesir.com/blog/tagesgeld-hopping Das lohnt doch alles nicht. Der ganze Aufwand für vielleicht 50 Euro oder 100 Euro. Man muß sich anmelden, alles unziehen, das in der Steuer entsprechend angeben. Und nach einem halben, spätestens nach einem Jahr geht der Stress von vorne los.
In meinen Augen vollkommen unproduktiv.

Was das Lernen angeht: Ich habe diesen Artikel geschrieben, weil auf dem letzten Grillabend, als das Thema auf die niedrigen Zinsen kam, die übereinstimmende Meinung der Runde war, das die Regierung die Zinsen festlegt.

Auf meinen Einwand, wieso dann unterschiedliche Banken unterschiedlche Zinsen bieten würde: Betretenes Schweigen ;-)

Lange Rede, kurzer Sinn: Keiner konnte sich vorstellen, dass die Höhe der Zinsen, die eine Bank zu zahlen gewillt ist, von den wirtschaftlichen Erwägungen dieser Bank abhängt. Geld als ein Produkt zu betrachten, fällt den meisten Menschen immer noch sehr schwer.

Da habe ich mir gedacht: Wenn diese intelligenten Menschen, die ihr Leben gut meistern, das nicht wissen, könnte das einen Artikel wert sein. ;-)

Gruß Finanzwesir


Finanzfux sagt am 24. Juni 2015

Hallo Finanzwesir, so sehr ich dem Finanzwesir sonst bei anderen Blogeinträgen zustimme, den Blog regelmäßig lese und lehrreich finde, so sehr muss ich diesmal einige Dinge kommentieren, die so meines Erachtens einfach falsch sind. Zwar stimme ich dem Fazit voll und ganz zu, die Beschreibung zu den Überlegungen der Bank sind jedoch nicht richtig:

  1. „Sie brauchen das Geld, um damit ihre Leasing-Verträge und die ganzen 0%-Finanzierungen an den Start zu kriegen.“ Dass Banken Kundengelder brauchen, um Finanzierungen vergeben zu können ist ein Bild, das von Medien und von den Marketingabteilungen der Kreditwirtschaft selbst immer gerne benutzt wird, trotzdem ist und bleibt es falsch. Um das zu verstehen genügt ein Blick in die Buchhaltung einer Bank: die Kreditvergabe ist eine Bilanzverlängerung, die Bank bucht den Kredit des Kunden als Forderung und schreibt gleichzeitig den Kreditbetrag auf dem Konto des Kreditnehmers gut (als Verbindlichkeit). Für diesen Vorgang braucht die Bank genau 0 Euro an Kundeneinlagen. Die Gewinn- und Verlustrechnung der Bank bleibt dabei unberührt; die Bank „schöpft“ zwar Geld (genau genommen schöpft sie auch kein Geld sondern nur Verbindlichkeiten), ein Gewinn entsteht daraus allerdings nicht.
  2. „Wenn die einsammelnde Bank eine Geschäftsbank ist, wird sie das Tagesgeld als Kredit an ihre Kunden ausreichen.“ Wie oben beschrieben: Kundeneinlagen oder Tagesgelder sind eine Forderung an die Bank, aus Sicht der Bank ist es eine Verbindlichkeit gegenüber dem Kunden. Niemand, auch keine Bank, ist im Stande eine Verbindlichkeit weiterzuverleihen. Die Finanzindustrie ist bei Gott bewandert in Finanzalchemie, Schulden verleihen kann aber selbst sie nicht.

Richtig ist: die Kreditnehmer lassen das Geld nicht auf dem Konto liegen (sonst hätten sie ja keinen Kredit aufgenommen) sondern bezahlen damit Arbeiter, bauen eine Fabrik oder kaufen sich ein Auto (wie im Beispiel im Beitrag). Dabei heben sie das Geld ab (lassen sich Bargeld = Zentralbankgeld auszahlen) oder überweisen es an eine andere Bank (beim Clearing von Überweisungen belastet die Zentralbank das Zentralbankkonto der Bank und schreibt das der anderen Bank gut). Jeden Tag fließt der Bank also Zentralbankgeld zu und ab (gleichzeitig tilgen ja andere Kunden ihre Kredite, es fließt also auch Zentralbankgeld zu). Am jedem Abend muss sie zusehen, dass zumindest die von der Zentralbank vorgeschriebene Mindestreserve auf dem Zentralbankkonto liegt. Ist dort nicht genug, gibt es verschiedene Wege sich eines zu leihen: auf dem Interbankenmarkt von anderen Banken, von der Zentralbank selbst durch Hinterlegung zentralbankfähiger Wertpapiere oder eben indem man Kundengelder wirbt. Diese Gelder kosten unterschiedlich viel Zinsen und haben unterschiedliche Laufzeiten. Tagesgeld ist eher kurzfristig da täglich verfügbar, aber viele Kunden sind zum Glück so träge bzw. bequem, dass sie das Geld liegen lassen, auch wenn die Zinsen gesenkt werden. Eine Bank mit vielen Tagesgeldkonten hat also einen Grundstock an Zentralbankgeld, der relativ stabil bleibt (außer in Krisenzeiten, siehe Griechenland). Diese Gelder brauch sie um liquide zu bleiben sprich genug Zentralbankgeld zu haben und nicht um Kredite vergeben zu können!
Wie viel Kundengelder eine Bank anwirbt und welchen Zins sie dafür bietet definiert daher im Wesentlichen der Finanzvorstand der Bank. Die Marketingabteilung ist davon höchstens indirekt betroffen und der Kreditabteilung ist es herzlich egal, sie interessiert sich in erster Linie dafür, ob sie das Geld auch wieder sieht, das sie als Forderung verbucht hat.

Grüße Der Finanzfux


Ric sagt am 25. Juni 2015

Ich denke, dass es wirklich keinen Sinn macht, wegen 0,1% mehr oder weniger die Bank zu wechseln, wenn man bedenkt wie hoch der Aufwand für die Eröffnung ist. Wenn man sich dafür mal seinen Stundenlohn ausrechnet kommt man zu einem traurigen Ergebnis.
Weiterhin bin ich der Meinung, dass 3-6 Monatsgehälter auf dem Tagesgeldkonto liegen sollten um eine gewisse Liquidität für den worst case zur Verfügung zu haben. Als Beispiel lässt sich hier der Jobverlust, eine Autoreparatur, eine kaputte Waschmaschine oder ähnliches nennen.

Alles Geld was man darüber hinaus zur Verfügung hat, sollte gut rentierlich investiert werden. Am besten ist dafür der Aktienmarkt. Zudem empfiehlt es sich, das Geld was man im Monat erübrigen kann, relativ schnell in den Markt zu investieren. So kauft man langfristig gesehen immer zum Durschnittspreis (cost-average-effekt).

Gruß Ric

Auf dem Blog von Ric gibt es hierzu diesen Artikel: wie wird man reich


G. Savonarola sagt am 02. Juli 2015

Das mag richtig sein, Ric - wenn die versicherungsmathematische und tatsächliche eigene Restlaufzeit ein paar Jahre über der des Anlageziels liegt.

Gute 24 Stunden G. S.


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