24. September 2018


Podcast: Disruption - Der Finanzwesir rockt, Folge 63

Wenn Disruption falsch bewertet wird:

"Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird 1.000.000 nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.
Gottlieb Daimler

Die arme Disruption muss für alles Mögliche herhalten.

Fall 1

Da hat jemand die technische Entwicklung verpennt. Wacht auf, fühlt sich überrollt und schreit "Disruption" um nicht zugeben zu müssen, dass er einfach ein paar digitale Transformationen verschlafen hat.
Merke: Wer ein Papierformular digitalisiert und in seine Web-Site einbindet ist noch kein Disruptor. Digitale Transformation kann ziemlich mühsam sein und auch weh tun.
Es ist einfacher zu jammern: "Wir wurden disruptiert", als die Tatsache zuzugeben "Wir haben unsere Digital-Hausaufgaben nicht gemacht". Denn wer disruptiert wurde, kann geschwind eine Arbeitsgruppe samt Lenkungskreis gründen und ansonsten so weiter machen wie bisher.
Wer macht schon gerne Hausausgaben, wenn er einen Wichtelkongress zum Thema Disruption besuchen kann.

Fall 2

Angehender Startup-CEOs will den revolutionär-visionären Approach seines neuen Ladens so richtig zum Leuchten bringen und disruptiert gewaltig vor den Geldgebern herum.
Bedeutet in diesem Zusammenhang: Bis nächsten Mittwoch ist die Weltherrschaft errungen und jetzt her mit der Kohle.

Disruption?

Dabei ist das Modewort Disruption ist nichts Neues. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um die von Schumpeter eingeführte "Schöpferische Zerstörung". In seinem Buch "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" schreibt Schumpeter im siebten Kapitel:

"Die Eröffnung neuer, fremder oder einheimischer Märkte und die organisatorische Entwicklung vom Handwerksbetrieb und der Fabrik zu solchen Konzernen wie dem U.S.-Steel illustrieren den gleichen Prozess einer industriellen Mutation – wenn ich diesen biologischen Ausdruck verwenden darf –, der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert², unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft.
Dieser Prozess der "schöpferischen Zerstörung" ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum. Darin besteht der Kapitalismus und darin muss auch jedes kapitalistische Gebilde leben.
Anm.² Diese Revolutionen sind nicht eigentlich ununterbrochen; sie treten in unsteten Stößen auf, die voneinander durch Spannungen verhältnismäßiger Ruhe getrennt sind. Der Prozess als ganzer verläuft jedoch ununterbrochen – in dem Sinne, dass immer entweder Revolution oder Absorption der Ergebnisse der Revolution im Gange ist; beides zusammen bildet das, was als Konjunkturzyklus bekannt ist."

Digitale Transformation = Fortlaufender, in digitalen Technologien begründeter Veränderungsprozess (Quelle).
Hier noch ein paar mehr Definitionen, die aber alle das Evolutionäre betonen ("ongoing digital evolution").
Beispiel: Vinyl-LP zur CD. Presswerke und Händler werden weiterhin benötigt.

Disruption = Kommt vom englischen "to disrupt" und bedeutet "unterbrechen" beziehungsweise "stören". Disruptive Innovationen ersetzen eine bestehende Technologie oder Dienstleistung indem Sie das Problem auf eine komplett andere Art und Weise lösen. Am Anfang oft in einer Qualität, die nicht an das Angebot der etablierten Player herankommt.
Beispiel: Musik-Streaming, keine CD-Qualität, für Audiophile nicht geeignet, aber gut genug für den Quäk-Lautsprecher eines Handys. Es kommt zum Bruch im Prozess, Presswerke und Händler fliegen raus.

Wer genau hinsieht stellt fest: Echte Disruptionen gibt es nicht so häufig. Das meiste ist alter Wein in neuen Schläuchen. Digitale Transformation, die uns als tolle Disruption verkauft wird.
Vielleicht bin ich deshalb so skeptisch, weil ich seit 30 Jahren dieses Digitalzeug mache und ich deshalb fast alles als logische (sprich evolutionäre) Weiterentwicklung des Bestehenden ansehe. Vielleicht ist das der Preis, den man für ein Berufsleben ohne HR und Compliance zahlen muss. Man staunt weniger.
Daniel sieht das etwas anders, deshalb ist das einer der netten Podcasts geworden, bei dem er rechts abbiegt, während ich finde: Linksrum ist der bessere Weg.

Zusammen schauen wir uns im Podcast an, welche Finanz-Disruptionen es gibt: Blockchain, Robo-Advisors, P2P und Crowdfunding, Alipay und WeChat aus China, M-Pesa aus Kenia, Chatbots, Finanzblogs. Sind das digitale Weiterentwicklungen oder Disruptionen?

Jetzt anhören

Links zum Thema der Woche

Finanzbegriff der Woche

Die Disruption. Gut für die Gesellschaft, ärgerlich für die Betroffenen. Da hat man es sich gerade mit einem Bier auf der Terrasse gemütlich gemacht, kommt die Disruption vorbei und schon geht das Gerenne wieder los.
Das Blöde: Die Disruption hat das Innovator’s Dilemma im Schlepptau.

Das "Innovator’s Dilemma" besteht darin, dass etablierte Unternehmen alles richtig machen:

  • Sie liefern, was ihre Kunden wollen,
  • Sie analysieren den Wettbewerb,
  • Sie haben tiefe Taschen und investieren viel Geld in neue Technologien um das zu liefern, was ihre Kunden wollen.

Trotzdem scheitern sie an mickrigen aber disruptiven Startups und verlieren.

Der Harvard-Prof Clayton Christensen hat das in seinem Buch "Innovator´s Dilemma" wie folgt beschrieben:

Disruption ist unlogisch und in den Augen der Etablierten auch unsinnig, denn sie richtet sich nicht nach den Kundenwünschen. Die Produkte sind weniger leistungsfähig, die Margen geringer und das Marktsegment ist klein. DEC hat so lange verächtlich auf die hässlichen beigen PC-Kisten herabgesehen, bis es zu spät war.
Die vernünftige Reaktion eines Managers auf eine disruptive Innovation besteht darin, auf Kosten der Innovation seine Erfolge aus der Vergangenheit auszubauen. Er hat einen starken Anreiz, dies zu tun, denn die Alternative sieht dem Scheitern zum Verwechseln ähnlich. Kein DEC-Manager, der seine fünf Sinne beisammen hat, wäre jemals auf die Idee gekommen einem seiner Kunden eine dieser leistungs- und margenschwachen PC-Gurken anzubieten. Selbst wenn die Kunden ihm den Kram abgenommen hätten - seine Umsatzvorgaben hätte er nie erfüllen können. Das wäre beruflicher Selbstmord gewesen.

Merke: Disruptiv ist immer der Straßenköter, der nichts zu verlieren hat.

Medienempfehlungen des Finanzwesirs

The Innovators Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren* von Clayton M. Christensen
The Innovators Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren

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(*)Affiliate-Link: Das Buch wird für Sie nicht teurer, aber wir erhalten eine kleine Provision.

(awa)

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Kommentare

BigMac sagt am 24. September 2018

"Die vernünftige Reaktion eines Managers auf eine disruptive Innovation besteht darin, auf Kosten der Innovation seine Erfolge aus der Vergangenheit auszubauen."

Wenn ich mich so umschaue, ist auch dieses Verhalten gerade mächtig im Wandel. Nicht-Finanz-Unternehmen treten als Geber von Wagnis-Kapital auf, große Konzerne gründen völlig unabhängig agierende Start-Ups. Man könnte das auch Outsourcing des F&E-Budgets nennen.


Dominik sagt am 24. September 2018

Bei dem Begriff ist viel Geklapper dabei, da bin ich ganz beim Finanzwesir. Bei allem Gerede über Fintechs vergisst man leicht, dass die Finanzwirtschaft eine der treibenden Kräfte hinter dem Einsatz von Informationstechnologie gewesen ist.

Jedenfalls führt keine der zahlreichen Banken, bei denen ich schon Kunde gewesen bin, ihre Konten tatsächlich noch in Form physischer Bücher. Der Begriff "Buchführung" ist schon seit Jahrzehnten nur noch eine Metapher. Sogar die Raiffeisenbank Gammesfeld hat offenbar inzwischen einen Computer.

Wenn ich mir noch eine Anmerkung erlauben darf: Die Behauptung, der Begriff "disrupt" sei englischer Herkunft ist im Prinzip auch eine Form der Disruption im Sinne des Begriffs. disrumpo/disrumpere findet man selbstverständlich in lateinischen Wörterbüchern, der Begriff hat allenfalls einen Umweg übers Englische gemacht.


Heine sagt am 26. September 2018

Moin,

kleine technische Anmerkung zu dem MP3 <-> Spotify Vergleich am Anfang. Der hinkt gewaltig.

In der grauen Vorzeit wurden MP3s meistens mit 192kbit/s gerippt. Das war so die Qualität bei der der Otto normal Verbraucher keinen Unterschied mehr gehört hat.

Spotify streamt im Ogg-Format. In der Free Variante in 128kbit/s in Premium bis 320 kbit/s.

Das Problem ist, dass die Bitrate zwar bei zwei Files mit gleichem Codec einen Rückschluss auf die Qualität gibt. Bei 2 Files in unterschiedlichen Formaten aber eben nur sehr begrenzt.

Ogg ist technisch besser als MP3. D.h. ein 128kbit/s Ogg reicht vermutlich qualitativ nahe an ein 192kbit/s heran.
Apple streamt übrigens in AAC. Da ist die Qualität pro Bit noch etwas besser.

Darum ist der Vergleich wie er hier getroffen wurde vergleichbar mit: "LED Lampen sind dunkler als Glühbirnen weil sie statt 50 Watt nur 3 Watt brauchen".

Ich denke der eigentlich angebrachte Vergleich wäre folgender gewesen: Obwohl es Lossless Codecs gibt die also CD-Qualität bieten verwenden die Nutzer trotzdem Verlustbehaftete wie MP3, Ogg, AAC. Weil es ihnen offensichtlich "Good-enough" ist.

Nichts für ungut, aber als Ex-Fraunhofer-Student konnte ich das so nicht stehen lassen ;)

Gruß,
Heine


Smartinvestor sagt am 28. September 2018

Vielen Dank, dass ihr dieses aktuelle Thema, dass Jeden und jedes andere Thema früher oder später betreffen wird, auch aufgegriffen habt.
Vor kurzem konnte ich Dietmar Dahmen live erleben. Wer mehr über Disruption erfahren will, vor allem wie man damit selber erfolgreich umgehen kann, der sollte mal nach ihm googeln, z.B. hier:

Bei unserem Finanz-Thema zeichnen sich auch gerade größere Disruptionen ab.
Dabei hoffe ich, dass das nicht nur bei einem bisschen Robo-Show bleiben wird, die uns das simple Ausfüllen eines Excel-Sheets gegen teuer Geld abnehmen will, wie hier diskutiert.
Große Hoffnungen setze ich bekanntlich darauf, dass uns die IT hilft, hoch attraktive Alpha-Ertragspotenzial zu erschließen, wie hier intensiv diskutiert.
Aber da es dabei um sehr Substanzielles geht, wird der Fortschritt dabei wohl etwas gemächlicher sein. Ich erwarte jedoch auch dort in den kommenden Jahren ähnlich unerwartete Disruptionen, wie in vielen anderen Bereichen.
Denn die Alpha-Ertragspotenziale ergeben sich aus typischen menschlichen Schwächen, die der Computer nicht hat und gnadenlos ausbeuten kann.
Aber der hat andere Schwächen. Die werden jedoch mit der Zeit verschwinden, wie die Kinderkrankheiten aller technischen Neuerungen.
Damit sollten Alpha-Ertragspotenziale irgendwann genau so leicht und zuverlässig verfügbar werden, wie Beta-Ertragspotenziale. Ein erster nennenswerter Impuls geht dabei vielleicht jetzt schon von Blackrock aus:

"BlackRock bets on algorithms to beat the fund managers."

Dadurch werden voraussichtlich weitere substanzielle Disruptionen in der gesamten reflexiven Finanzmarkt-Struktur ausgelöst, die sich bislang vermutlich noch überhaupt niemand vorstellen kann. Aber langfristig betrachtet hat der Fortschritt ja immer einen solchen gebracht. Auch wenn es zwischendurch mal disruptiv drunter und drüber ging. ;-)


Geduld+Spucke sagt am 28. September 2018

"Damit sollten Alpha-Ertragspotenziale irgendwann genau so leicht und zuverlässig verfügbar werden, wie Beta-Ertragspotenziale."

Und dann wird jeder von uns überdurchschnittliche Marktrenditen einfahren.


Smartinvestor sagt am 29. September 2018

"Und dann wird jeder von uns überdurchschnittliche Marktrenditen einfahren."

Jepp. Das hängt davon ab, was mit "uns" gemeint ist. Für die Fortgeschrittenen hier könnte ich mir das durchaus gut vorstellen.

Wer weiß, wenn sich unser Wesir (hoffentlich) in die entsprechende Weiterbildung hier reinhängt, könnten es durchaus mehr werden. Da wird auch nur mit Finanz-Wasser gekocht.

Erste interessante Versuche hat er mit dem Stammgast Nassim Taleb, dem Trader-Artikel, dem größten Hedgefonds-Manager Ray Dalio, der Managed Futures Expertin Kathryn Kaminski und meinem Alpha-Lieblings-Thread ja schon gestartet. Das ist fruchtbarer Boden, auf dem Alpha gut gedeihen kann. Ohne Grund hat er den sicher nicht bestellt.

Beim Beta ist ihm das ja bereits unglaublich gut gelungen. Jetzt sollte er sich allmählich aus der Beta-Komfortzone hinausbewegen und die naheliegende Disruption mit finanzpornofreiem Alpha wagen, um den disruptiven Worten hier auch Taten folgen zu lassen und nicht überholt zu werden... ;-)


CN sagt am 30. September 2018

Zum Thema Disruption der großen Internet Tech-Giganten (GAFAM):

Der Erfinder des WWW arbeitet gerade mir seinem StartUp an einer dezentralisierten Webplattform, bei der jeder Nutzer volle Datenkontrolle hat. Datensammelkraken adé? Vielleicht schon bald Realität...

Link:
https://www.fastcompany.com/90243936/exclusive-tim-berners-lee-tells-us-his-radical-new-plan-to-upend-the-world-wide-web

Viele Grüße,
CN


Schwachzocker sagt am 30. September 2018

"Und dann wird jeder von uns überdurchschnittliche Marktrenditen einfahren."

Unglücklicherweise bedeutet "überdurchschnittlich" ja gerade, dass es auch "unterdurchschnittlich" geben muss. Noch so tolle Computer werden daran nichts ändern. Ich nehme daher nicht an, dass es "Alpha" zukünftig bei Aldi in der Grabbelkiste gibt.


Smartinvestor sagt am 01. Oktober 2018

@Schwachzocker

"Ich nehme daher nicht an, dass es "Alpha" zukünftig bei Aldi in der Grabbelkiste gibt."

Ich auch nicht. Daher meine disruptive Anregung, damit unser Blog da nicht endet.


CarstenP sagt am 01. Oktober 2018

In Lake Wobegon haben auch alle Investoren positives Alpha und damit überdurchschnittliche Renditen, das kann also nicht so schwer sein. ;)


Smartinvestor sagt am 04. Oktober 2018

"...das kann also nicht so schwer sein. ;)"

Das hängt davon ab, wie sich die Ausbildung und der Lerneifer hier so weiterentwickeln werden. Weißt scho, Statistik und so... ;-)


Thorsten - thorstenhartmann.de sagt am 08. Oktober 2018

Kurz und knapp:

Als Standard-Index ETF-Anleger, ist mir Disruption egal.

Sobald ein Spieler im Markt wirklich disruptiv durch die Decke geht und etablierte Unternehmen verdrängt, ist er auch nach Marktkapitalisierung im Standard-Index vertreten - und ein anderer fliegt raus. Siehe gerade in letzter Zeit das schöne Beispiel im DAX: Commerzbank raus, Wirecard rein.


Bernhard Schmalhofer sagt am 09. Dezember 2018

Historisch ist der Begriff der Disruption noch älter. Im 18. Jhdt. schrieb ja Engels schon über den Umschlag von Quantität in Qualität.


Marco sagt am 31. Dezember 2018

Hej,
diese eine Folge ist etwas enttäuschend. Was nun wirklich Disruption ist wird nicht geklärt.

Am Anfang wie am Ende weiß man:

  • es ist kompliziert
  • Frage der Perspektive
  • die Autoren können einem dabei auch nicht helfen.

Schade, die meisten anderen Folgen waren interessant und informative. Ich bin gespannt was die weiteren bringen.


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