07. April 2022


Wie schmeißt man Russland aus dem Index?

Leser M. fragt

Könnten Sie bitte darauf nochmal eingehen, welche Vorgaben Fondsanbietern durch die Sanktionen auferlegt wurden?

Der Finanzwesir antwortet

Grundsätzlich kann eine Regierung die Fonds zu allem zwingen. Das ist das politische Risiko, dass jeder Käufer von Finanzprodukten trägt. Der Staat hat die Bajonette, der Staat setzt seine Gesetze durch.
Soweit zum strategischen Risiko.

US-Sanktionen

Präsident Biden verhängte Ende Februar eine erste Reihe von Sanktionen, die es US-Finanzinstituten verbieten, nach dem 1. März ausgegebene russische Staatsanleihen an der Börse zu handeln. Das betrifft die ETFs.
Bereits seit Juni 2021 ist es Finanzinstituten untersagt, Russland direkt Kredite zu gewähren. Das betrifft die ETFs nicht.
Dann legte er nach und verbot den Kauf von Schuldtiteln staatlicher Unternehmen mit einer Laufzeit von mehr als zwei Wochen, um Unternehmen wie Gazprom den Zugang zu Finanzierungen zu erschweren.
Aber Achtung: Es geht hier um Neuemissionen, was im Fonds ist, darf drin bleiben. Direkt betroffen von den Sanktionen sind vor allem Anleihen-ETFs. Die Aktien-ETFs brauchen keine expliziten Finanzsanktionen. Die wollen auch so raus.

Aktien-ETFs

  1. 14 Schwellenland-ETFs buhlen in Deutschland um die Gunst des Publikums.
  2. Verwaltetes Vermögen: 19,311 Milliarden Euro
  3. Rund vier Prozent davon in Russland, macht rund 770 Millionen Euro.
  4. 71 % der ETFs halten einen Aktienkorb (Replikation). Sie besitzen die Aktien tatsächlich. Es geht hier um ein Volumen von 13.692 Euro,. Die neun replizierenden ETFs sitzen auf russischen Aktien im Wert von rund 550 Million Euro. Zumindest war das mal der Wert ;-)

Allein die Nummer eins, der Xtrackers-ETF, verwaltet 5,584 Milliarden Euro. Nun sitzt das arme Fondsmanagement da und hat 223 Millionen Euro im Feuer. Nach aktuellem Umrechnungskurs sind das 20.323 Millionen Rubel.
Wo sollen die denn alle hinrollen?
Die Moskauer Börse war fast einen Monat - vom 25. Februar bis zum 21. März - geschlossen. Jetzt ist die Börse wieder geöffnet, aber unter Auflagen. Die Russische Zentralbank verbietet internationalen Anlegern immer noch ihre Wertpapiere zu verkaufen und den Erlös außer Landes zu schaffen.

Warum ist das Fondsmanagement so verzweifelt?

Treten wir einen Schritt zurück. Was war noch mal ein Index? Ein Index ist eine theoretische Tabelle. Links steht der Firmenname, rechts eine Prozentzahl. Transaktionskosten, Steuern, Zentralbanken und andere Scheußlichkeiten der Kohlenstoffwelt kennt der Index nicht. Wenn der Vorstand einer AG beschließt: "Wir schütten dieses Jahr 12 Rubelchen pro Aktie aus", dann gilt für den Index: Der Vorstand hat gesprochen, howgh! - die Dividende ist verbucht. Der Fonds kann sehen, wie er die Rubel über den Ural kriegt.

Treten wir noch einen Schritt zurück: Wie lässt sich die Situation der Brot&Butter-ETFs beschreiben? Antwort: Hochkompetitives Skalengeschäft. Die Fonds sind extrem vergleichbar, die Margen dünn, die Masse macht’s. Da kann sich keiner einen Trackingerror leisten. Die Indexperformance muss tippi-toppi geliefert werden.

Was haben wir in Russland? Einen Finanzmarkt ohne Tiefe und Breite.

Markttiefe = Wie viel Liquidität ist vorhanden? Kann der Markt auch große Aufträge ohne signifikante Kursausschläge bewältigen? Rückkopplung macht die Preise kaputt.
Marktbreite = Wie viele Aktien sind handelbar?

Die Lösung

Russland muss weg. Dazu braucht es gar keine Sanktionen. Die erste, wichtigste und härteste Indexregel: Ein Markt muss investierbar sein. Investierbar bedeutet: Genügend Aktien im Angebot und freier Kapitalfluss.
Ein ETF bekommt 100 Millionen Euro, vier davon müssen laut Index in Russland investiert werden. Und zwar jetzt und sofort. Ein ETF hält keine Liquidität. Cash macht Trackingerror. Für den Fonds bedeutet das:

  1. Umtausch von vier Millionen Euro in Rubel. Und zwar zügig und zu einem vernünftigen Wechselkurs.
  2. Dann an der Börse: Rubel gegen Aktien. Funktioniert nur, wenn genug Aktien da sind und Ausländer sie auch kaufen dürfen.

Jetzt das Ganze rückwärts. Auch jetzt dürfen vier Millionen Euro weder die Börsen- noch die Wechselkurse beeinflussen. Bonus: Keine Kapitalverkehrskontrollen - es muss erlaubt sein vier Millionen Euro außer Landes zu bringen.

Wenn das nicht geht, bedeutet das: Dieser Markt ist nicht investierbar. Und Märkte, in die man nicht investieren kann, haben nichts im Index verloren. Das ist ein ganz stumpfes algorithmisches Vorgehen. Mit Politik und Sanktionen hat das wenig zu tun.

Indexrauswurf - so läuft das konkret ab

  1. Marktkonsultation: Der Indexanbieter schickt eine Mail an die relevanten Player. Inhalt der Mail: "Wir wollen Russland am 7. März aus dem Index schmeißen. Wir buchen alles zu null Dollar aus. Ok soweit?"
  2. Dann haben die Instis ein, zwei Tage Zeit sich zu melden. Alles zu Null auszubuchen tut zwar weh, ist aber realistisch und es gibt auch keinen Grund die Sache hinauszuzögern. Also schaut jeder nach, ob er das operativ hinbekommt und wenn ja, signalisiert man Zustimmung.

Der Tag der Trennung

  • Replizierer: Der Replizierer setzt seine Gazpromaktien auf Null und schleppt sie als Merkposten weiter. Verkaufen kann er nicht (Verbot der Zentralbank) und verschenken will er nicht. Vielleicht werden die Dinger ja noch mal werthaltig.
  • Swapper: Hatte weder Nornickel noch Gazprom, der swappt sich einfach den Verlust ins Depot und macht weiter.

Beim nächsten Rebalancingtermin berechnet der Indexanbieter die neuen Ländergewichtungen und die ETF-Anbieter setzen das um.

The Return of Russia

Und wenn Russland irgendwann die Indexbedingungen wieder erfüllt? Na, dann ist Russland wieder dabei. Der Algorithmus nimmt’s, der Algorithmus gibt’s.

"Nach der Wiederaufnahme des regulären Handels und der Aufhebung aller Beschränkungen für gebietsfremde Anleger wird Russland als neuer Markt im Rahmen des FTSE-Länderklassifizierungsprozesses für Aktien neu bewertet werden."
FTSE Equity Country Classification March 22 Interim Update

Fazit

Indexing bedeutet: Eine Volkswirtschaft, die Teil eines großen Index ist, bekommt automatisch einen Anteil der internationalen Kapitalströme ab. Bis Ende 2021 wurden von 100 Euro, die ich in einen Schwellenland-ETF investiert habe, automatisch vier Euro in Russland investiert. Russland musste mich nicht überzeugen, keine Werbung für sich machen, das Geld kam einfach. Passiv eben.
Jetzt nicht mehr. Russland ist raus aus dem Indexingspiel. Ich frage mich, ob das nicht verheerender wirkt, als alle anderen Finanzsanktionen zusammen.

(awa)

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