06. März 2015


Leserfrage: Können Index-Anbieter betrügen?

Leser M. fragt

Ich habe gelernt, dass Diversifikation zwecks Risikominimierung Hauptwerte, Nebenwerte und Schwellenländer umfassen sollte. Die Definition eines MSCI World über die Marktkapitalisierung scheint mir nun relativ klar zu sein.
Wie ist das aber nun mit Nebenwerten und Schwellenländern? Wer definiert, welche Aktie Teil des Index ist und welche nicht? Könnte so ein Indexersteller nicht auch versuchen, durch eine "Verschiebung" des Index Gewinne zu erzielen beziehungsweise das Geld der vielen passiven ETF-Anleger aktiv zu verschieben?
Verschiebung = Umdefinition eines Emerging Market Index, derart dass Ghana jetzt Bestandteil ist. Zumindest habe ich keine objektiven verbindlichen Kriterien gefunden, die "Emerging Market" definieren würden. Also wäre das ja möglich.
Gewinne erzielen = Der Index-Anbieter wurde von Ghana bestochen. Oder aber: Vermutlich verdient der Index-Ersteller mit Kursgewinnen mehr als mit Kursverlusten. Falls das so ist, wäre es ja naheliegend, dass er seinen Index "geeignet" definiert.
Eventuell ist das aber natürlich Unsinn.

Der Finanzwesir antwortet

Bevor ich die Frage beantworte, erst einmal der Sprung auf die Meta-Ebene. Diese Frage ist kein Unfug, sondern die kluge Frage eines Anfängers, der sich viele Gedanken macht und im Nebel herumstochert.
Das typische Anfängerproblem: Man hat gelernt, dass die Unbill bei der Geldanlage aus Ecken kommt, wo man niemals ein Problem vermutet hätte. Also wird man misstrauisch und wittert an jeder Ecke Verrat, denn man hat noch nicht gelernt, die Spreu vom Weizen zu scheiden. Deshalb ist es gut, solche Fragen zu stellen.

Jetzt zur Beantwortung der Frage.

Wie kann ich mich als Privatanleger schützen?

Gar nicht!
Wieso gar nicht?
Weil es nicht nötig ist. Mäuse müssen sich nicht vor Tigern schützen, denn eine Maus ist einem Tiger so etwas von egal. Wir Privatanleger sind die Mäuse und die Profis sind die Tiger. Ob wir eine viertel Million Euro in einen ETF stecken oder nicht, interessiert niemanden.
Wir müssen nur zwei Spieler betrachten

  1. Die Index-Entwickler, beispielsweise MSCI
  2. Die Käufer des Index, die großen Fonds-Gesellschaften

und dann die Frage nach dem Geschäftsmodell stellen.

Das Geschäftsmodell der Index-Entwickler

Das hier finden wir auf der "Über-uns"-Seite von MSCI:

"MSCI Inc. is a leading provider of investment decision support tools to over 6,000 clients worldwide, ranging from large pension plans to boutique hedge funds."

MSCI ist für die Finanzindustrie das, was Makita für den Handwerker ist: Ein Werkzeuglieferant. Seit über 40 Jahren liefert die Firma Indizes, Risiko- und Performance-Analysen sowie alle möglichen Daten und Recherchen, die die Finanzindustrie benötigt.
Das bedeutet:

  • Zielgruppe ist die Finanzindustrie. Die soll die Produkte kaufen.
  • Ob die Kurse steigen oder fallen, ist dem Index-Sponsor egal. MSCI lebt von den Lizenzgebühren, die übrigens ein Teil der ominösen Gesamtkostenquote (TER) sind, mit der jeder ETF belastet ist.

Die ETF-Anbieter wie Blackrock, Deutsche Bank oder Lyxor lizenzieren den MSCI Emerging Market Index und dürfen dann einen ETF bauen, der auf diesem Index beruht. Diese Jungs lassen sich nicht verarschen. Sie wollen einen Index, mit dem sie vernünftig arbeiten können.

Machen wir ein Gedankenexperiment. MSCI beschließt: Ghana wird der neue Emerging Markets Star. Was jetzt? Weltweit müssen jetzt Milliarden von Euros und Dollars umgeschichtet werden.
Nur wohin?
Wo nichts ist, kann auch nichts investiert werden. Wo sollen die ganzen Geldströme hin? Kein ETF kann Aktien nicht existenter Firmen kaufen. Soweit geht die Finanz-Magie dann doch nicht.

Was wären die Folgen?

  • MSCIs Reputation wäre dahin.
  • Die neue Zusammensetzung des Index (jetzt mit Ghana) kann mangels Angebot von den ETFs nicht nachvollzogen werden.

Eine klassische "Nur-Verlierer"-Situation.
In der Praxis würde es erst gar nicht so weit kommen, weil die ETF-Anbieter die MSCIs mit den Worten "Schlaft euren Rausch aus und dann kommt wieder" nach Hause schicken würden.

Ein Index ist kein Joghurt, den man je nach Jahreszeit in wechselnden Geschmacksrichtungen anbietet (Weihnachten mit Zimt, ab März mit frühlingsfrischer Aloe), sondern ein ziemlich ausgetüfteltes Gebilde, in dem eine Menge Know-how steckt. MSCI setzt dazu das MSCI Market Classification Framework ein.

Der Prozess läuft dabei so ab:

  1. Basierend auf dem Market Classification Framework prüft die Firma die wirtschaftliche Entwicklung aller Länder dieser Welt. Ziel ist es herauszufinden, welches Land sich für ein bestimmtes Anlage-Universum qualifizieren könnte.
  2. Jedes Jahr im Juni gibt MSCI seine Shortlist bekannt. Diese Länder sind potenzielle Auf- oder Abstiegskandidaten aus den jeweiligen Indizes.
  3. Diese Länder werden weiter dann erst im nächsten Aktualisierungs-Zyklus berücksichtigt.

Mit anderen Worten: Keine Schnellschüsse ‒ da geht alles seinen sozialistischen Gang.

MSCI dient hier nur als Beispiel, weil Leser M. die Firma in seiner Frage erwähnt hat. Die anderen Index-Sponsoren arbeiten genau so.

Hier noch ein weiterer Link zum Thema "So baut MSCI seine Indizes“. Für Privatanleger ziemlicher Hardcore-Kram, aber Profis dürften damit keine Probleme haben.

Damit dürfte das Thema

"Zumindest habe ich keine objektiven verbindlichen Kriterien gefunden, die "Emerging Market" definieren würden."

erledigt sein. Es gibt sehr knallharte und transparente Kriterien, nach denen ein Land FM (Frontier Market), EM (Emerging Market) oder DM (Developed Market) ist.

Fazit

Auch ein ETF hat Haken und Ösen. Aber über einen möglicherweise korrupten Index-Sponsor müssen Sie sich keine Sorgen machen.

Zum Weiterlesen

  1. Welcher Aktienindex ist der Richtige?
  2. Was ist ein ETF?

(awa)

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Abgelegt unter Strategie, ETF, Index, Leserfrage, MSCI



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Kommentare

Jens sagt am 07. März 2015

Ich finde die Frage auch interessant. Die Banken haben ja auch am Goldpreis und am Libor Zins herummanipuliert, warum als nicht auch an der Zusammensetzung eines Indexes?

Ich würde mir aber darüber nicht den Kopf zerbrechen.

Das Verfahren ist ja wie du super beschrieben hast zumindest für Profis transparent. Und selbst wenn z.B. im MSCI Emerging Markets Indonesien übergewichtet wäre und dafür Ägypten untergewichtet wäre. Hätte man damit einen größeren Nachteil? Keine Ahnung. Langfristig gesehen macht es wahrscheinlich keinen Unterschied.

Viele Grüße Jens


O.T. sagt am 18. März 2015

Ich bin jetzt schon zig-Jahre an der Börse unterwegs. Jedes mal wenn es einen Hype gibt, egal ob REITS, sonstige Immobilen, Schifffonds dauert es max. 3 Jahre bis dieser Hype zu Ende ist. Man reibt sich die Augen, als naiver Kleinanleger der investiert hat bleibt man auf wertloses Papier sitzen. Dann erfährt man, die Preise wurden gegenseitig hochlizidiert oder die Reeder wollten nur die Reserve-Kapazitäten ausbauen etc. Mein Broker, meine Bank bieten seit ca. 6 Monaten sehr werbewirksam um nicht zu sagen "marktschreierisch" ETFs an. Ich weiß nicht, wie lange ich noch widerstehen kann - ich hoffe ich halte noch 2 1/2 Jahre durch - ohne zu kaufen!
ETFs sind die neuen REITS.


Christian Kirchner sagt am 12. August 2015

Man kann darüber streiten, ob die Auseinandersetzung mit dieser Frage für einen typischen Privatanleger mit vier- bis sechsstelligen Anlagesummen überhaupt von Bedeutung ist - ich glaube eher nicht; die Vorteile der Gebühren dürften die Risiken (nachteilige Kapitalgewichtung, arbitriert zu werden bei Indexanpassung....) klar überwiegen.

Aber einige Behauptungen stimmen nicht ganz. Wenn die Kriterien so knallhart und transparent wären, dürfte es die Debatten und Spielräume etwa im China doch gar nicht geben.

Die Indexfondsanbieter und die Indexberechner haben ein symbiotisches Verhältnis, in dem man sich nicht verärgern will. Es wäre doch verrückt zu glauben, dass seitens der Indexanbieter (die ja in aller Regel nichts anderes als Auftragsarbeit leisten) irgend etwas gemacht würde, was denjenigen verärgert, der die Leistung bezahlt, hier also die Lizenznehmer/Indexfondsanbieter. Natürlich gibt es da auch informelle Konsultationen, damit kein Indexfondsanbieter bzw. deren Market Maker aus dem Bett fällt. Bestätigt off the record so jeder (ehrliche) Schwellenländerfondsmanager. Eines der beherrschenden Themen ist und bleibt dabei, dass auch ausreichend liquide Märkte und Titel im Indexuniversum sind, die Zu- und Abflüsse beherrschbar machen.


Finanzwesir sagt am 12. August 2015

Hallo Herr Kirchner,

Wenn die Kriterien so knallhart und transparent wären, dürfte es die Debatten und Spielräume etwa im China doch gar nicht geben.

Was ist da im Urlaub an mir vorbeigegangen? ;-) Könnten Sie so nett sein und das etwas näher erläutern?

Gruß
Finanzwesir


Dummerchen sagt am 12. August 2015

Hallo Finanzwesir,

ohne genau zu wissen, worauf sich Herr Kirchner bezieht, könnte ich mir vorstellen, dass er auf die seit zwei Jahren andauernde Diskussion über die Aufnahme der China-A-Shares in den MSCI EM anspielt.

In wie fern dieser Diskussion nicht harte Zahlen als Diskussionsgrundlage dienen, weiß ich nicht einzuschätzen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Entscheidung im luftleeren Raum ohne Zahlenbezug erfolgt und die handelnden Akteure nach Gutdünken darüber entscheiden können.

Lieben Gruß
Dummerchen


Finanzwesir sagt am 12. August 2015

Hallo Dummerchen,
danke für die Aufklärung.

Gruß
Finanzwesir


Christian Kirchner sagt am 12. August 2015

Bleiben wir doch mal beim Beispiel A-Aktien. Es liegt im Ermessen von MSCI 1) A-Aktien überhaupt in den Kreis von MSCI EM aufzunehmen 2) einen Faktor zu definieren, zu dem A-Aktien anteilig in den Index eingehen, damit es nicht gleich 100% der Marktcap sind 3) einen Zeitraum zu definieren, in dem A-Aktien zu diesem Faktor schrittweise in den MSCI eingehen 4) einen Zeitraum zu definieren, in dem dieser Faktor - zB anfänglich 5% - allmählich erhöht wird und 5) "Pro Forma"-Indizes zu berechnen mit alternativen Inklusionsmodellen, die dann natürlich ihrerseits als Benchmark dienen können, falls einem Lizenznehmer das Vorgehen nicht passt. Das ist doch ein kompletter Freibrief, zu walten wie man will.

In den ganzen Erklärungen rund um Aufnahmen und Nichtaufnahmen von MSCI taucht auch fortlaufend als Begründung für Entscheidungen "Feedback" auf, nicht feste Regeln. MSCI macht doch überhaupt keinen Hehl daraus, dass man diesbezüglich einfach den Forderungen von Großinvestoren folgt.

Viele Grüße


Dummerchen sagt am 12. August 2015

Natürlich liegt es im Ermessen von MSCI, A-Aktien überhaupt in den Kreis von MSCI EM aufzunehmen. MSCI hat schließlich ein Regelwerk für sich selbst definiert, nach dem es seine Indizes aufbauen will. In diesen Regularien (sie sind teilweise im Artikel oben verlinkt) tauchen unter anderem "Market Accessibility Criterias" auf, die sich bei EM aufdröseln zu

  • "Openness to foreign ownership": Significant
  • "Ease of capital inflows / outflows": Significant
  • "Efficiency of the operational framework": Good and tested
  • "Stability of the institutional framework": Modest

Und genau da liegen natürlich die Schwierigkeiten. Was heißt "signifikant" bezogen auf die ersten beiden Kriterien? Vermutlich sind die gegenwärtigen chinesischen Kapitalverkehrskontrollen eher nicht dazu geeignet einen einfachen Zufluss und Abfluss von heimischem und ausländischem Kapital zu gewährleisten. Handelshöchstquoten sind auf jeden Fall hier ein Problem. Ich fürchte, es handelt sich hier um weiche Kriterien, die sich nicht an einer einzelnen nackten Zahl festmachen lassen. Das führt dann zu den für einen Laien nicht nachvollziehbaren Verzögerungen - dass die China A-Aktien in den nächsten Monaten (oder Jahren) bei weiterer Liberalisierung des Kapitalverkehrs überhaupt aufgenommen werden, sehe ich aber nicht als Ungewissheit an.
Dass MSCI seine eigenen Regeln aufsteht, wie sie den Übergang von einem vormals restriktiven Markt zu einem offenen Markt auf die prozentuale Gewichtung der A-Shares überträgt, mag irritieren, ich finde es aber nicht unlogisch. Vielleicht sollte man aber auch alle Anleger darüber abstimmen lassen, wie sie sich einen Übergang explizit wünschen - just kidding ;-).

Im Grunde können es die Indexersteller machen wie sie wollen - irgendwie machen sie es immer falsch: Stellen sie klare Regeln auf, die jeder nachvollziehen kann und sind total transparent, laufen sie in die Frontrunning-Falle.
Verhandeln sie ihrer Indexkonstruktion hinter verschlossener Tür und vermeiden damit die Frontrunning-Effekte, wird ihnen mangelnde Transparenz vorgeworfen.

Na, ja, am Ende des Tages muss halt doch jeder abschätzen, in welchen sauren Apfel er beißt. Mir persönlich ist es relativ egal, ob China A-Shares heute oder erst in zwei Jahren, gestaffelt oder auf einen Schlag in meinem Depot landen. Entscheidend ändern wird das an meiner Rendite nichts.

Just my 2 cents
Dummerchen


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