04. November 2022


Historisch gesehen: Alles im grünen Bereich

Das klassische 60/40-Depot mit Verlusten wie seit 40 Jahren nicht mehr, die Inflation seit zwei Monaten zweistellig, Krieg im Osten, Pandemie im Land und Firmen, die zum Glück nicht insolvent werden, sondern nur aufhören zu produzieren.
Wenigstens ein Lichtblick, ansonsten verdunkeln ganze Schwarze-Schwan-Geschwader die Sonne. Wo kommen die nur alle her?
Gar nirgendwo. Dass, was wir gerade erleben ist vollkommen normal.
Sagt wer?
Ray Dalio in seinem Buch "The changing world order"*, auf Deutsch: "Weltordnung im Wandel: Vom Aufstieg und Fall von Nationen"*. Hardcover, 557 Seiten, Farbdruck - ein Buch, das schwer wiegt wenn man nur 23 Kilo Freigepäck hat. Ich hab’s trotzdem eingepackt - PDFs sind ok, aber im Urlaub lese ich lieber ein echtes Buch.
Ray Dalio ist seit 50 Jahren mit eigenem Geld an den Finanzmärkten unterwegs und als Chef des Hedgefonds Bridgewater nicht ganz erfolglos. Erfahrung plus "Skin in the Game".
Langfristig erfolgreiche Anleger waren schon immer eher Historiker als Futurologen. Je gründlicher wir die Vergangenheit studieren, umso weiter können wir in die Zukunft sehen.
Also geht Herr Dalio 500 Jahre zurück und arbeitete sich systematisch - wie es sich für einen Quant gehört - vom Jahr 1500 in die Gegenwart vor. Dreistellige Jahreszahlen, das sind vernünftige Rückschaufenster, dann erkennt man Muster und auf einmal wird aus einem schwarzen Schwan ein ganz normaler Wiedergänger, der alle 50 bis 80 Jahre einmal erscheint.
Das, was wir heute erleben, gab es alles schon einmal.

Aufstieg und Fall der Imperien

  • Aufstieg und Fall des niederländischen Imperiums. Während seiner Blütezeit um 1650 war das niederländische Imperium die unumstrittene Supermacht und Amsterdam das Finanzzentrum der Welt. Egal, ob in Europa oder Übersee: Mit dem niederländische Gulden konnte man überall bezahlen.
  • Abgelöst wurden die Niederländer durch die Briten. Natürlich nicht friedlich. Drei Kriege gegen die Niederländer waren nötig und dann mussten die Briten sich noch den kleinen Korsen vom Hals schaffen. Als der endlich auf St. Helena verschimmelte, war der Weg frei für eine neue globale Leitwährung: Das Pfund Sterling.
  • Der zweite Weltkrieg beendete die Vorherschaft der Briten. Die Amis waren jetzt die Supermacht und der Dollar "makes the world go round". Die eigentlichen Verlierer des zweiten Weltkriegs waren die Briten. Sie mussten sich so bei ihrer Ex-Kolonie verschulden, dass sie das ihr Imperium gekostet hat. Wer bezahlt, bestimmt gilt auch zwischen Nationen.
  • Das Rad dreht sich immer weiter: Aktuell rütteln die Chinesen am Zaun und die Vorherrschaft der US-Amerikaner ist nicht mehr so absolut, wie sie einmal war.

Ray Dalio Zyklus

Aufstieg Blütezeit Fall
1 - starke Führung 9 - Produktivität sinkt 13 - Verschuldung hoch
2 - starker Erfindungsgeist 10 - Überfordert 14 - Staat wirft die Notendruckpresse an
3 - gutes (Aus-)Bildungssystem 11 - Verlust der Wettbewerbsfähigkeit 15 - interne Konflikte
4 - Kultur der Einigkeit 12 - Wohlstandsgefälle 16 - Verlust Leitwährung
5 - sinnvoller Ressourceneinsatz   17 - schwache Führung
6 - wettbewerbsfähige Wirtschaft   18 - Bürgerkrieg / Revolution
7 - starkes Einkommenswachstum    
8 - gut funktionierende Kapitalmärkte / Finanzzentren    

Letztlich geht jedes Land durch fünf Phasen

  1. Die Menschen sind arm und sie wissen, dass sie in einem armen Land leben. Also verschwenden sie kein Geld und Schulden haben sie auch kaum. Wer verleiht schon Geld an Arme.
  2. Die Menschen sind reich, halten sich und ihr Land aber für arm. Also wird weiter auf den Pfennig geschaut. Als Deutschland in dieser Phase war, hieß der Cent Pfennig. Das überschüssige Geld wird in Produktivitätsverbesserungen gesteckt und die Kinder bekommen eine gute Ausbildung, denn sie sollen es einmal besser haben als ihre Eltern. Das ist die produktivste Phase des ganzen Zyklus.
  3. Die Menschen sind reich und benehmen sich entsprechend. Die Autobahnen sind gebaut, jetzt sind die Museen dran. Und was ist ein Museum ohne Besucher: Also runter mit der Arbeitszeit. Das ist der Zeitpunkt, an dem große Länder im Allgemeinen zur globalen Wirtschafts- und Militärmacht aufsteigen.
  4. Das Land wird ärmer, aber die Menschen halten sich immer noch für reich. Ein Armer, der sich aufführt, wie ein Reicher verschuldet sich. Genau das passiert in diesem Stadium: "Man reiche mir die Druckerpresse". Wiederstand regt sich kaum. Warum? Nun, die Menschen, die Phase eins und zwei als Erwachsene erlebt haben sind inzwischen tot und die, die noch Leben machen Work-Live-Balance sind paralysiert von der Entscheidung Iphone 14 Pro oder Samsung Galaxy S22. Mit einem Wums oder Doppelwums läßt sich das noch übertünchen, aber die Fäulnis sitzt schon im Mark.
  5. Das Land ist arm und diese Erkenntnis ist angekommen. Jetzt geht das los, was man beim Krokodil Todesrolle nennt. Hohe Schulden, geringe Produktivität und schlechte Moral lassen das ganze Staatsgefüge zusammenbrechen. Dann kommt eine neue Weltordnung und das Ganze geht von Vorne los.

Oder - kürzer - mit Bismarck:

"Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends."

Bismarck und Dalio - die zwei Welterklärer. Geht’s nicht auch etwas pragmatischer, börsennaher?

Energie - die Basis von allem

Klar, darf ich Ihnen die Herren Goehring & Rozencwajg vorstellen. Beide bilden die Goehring & Rozencwajg Associates, LLC und sind seit 1991 im Bereich Rohstoffe unterwegs. Das "unterwegs" können Sie wörtlich nehmen. Die beiden besuchen tatsächlich Minen, Ölfelder und Farmen und schreiben erst dann ihre lesenswerten Quartalsberichte, die Sie von der Web-Site herunterladen können. Für alle, die den Deal "Quartalsbericht gegen E-Mail-Adresse" nicht eingehen möchten, hält der G&R-Blog einige interessante Artikel bereit.
Im Bereich Rohstoffe sehen die beiden auf absehbare Zeit erst einmal eine Menge Volatilität.
Warum?
Grundsätzlich gilt: Wer Energie gewinnen will, muss erst einmal Energie investieren. Wer Öl fördern will, muss ein Loch bohren und auch wenn die Sonne keine Rechnung schickt: So ein Solarpaneel wird in einem Autoklaven bei 10 bar und 140 Grad laminiert. Und das ganze Kupfer, dass man braucht, um die Paneele ans Stromnetz anzuschließen, muss auch jemand aus dem Boden kratzen.

Der EROEI

Das Verhältnis von aufgewendeter Energie zu gewonnener Energie nennen die beiden EROEI. Der EROEI liegt bei

  • 30:1 für Kohle und Öl. Für jedes Joule, das ich investiere, bekomme ich 30 Joule zurück.
  • 15 - 10:1 für ein ungepuffertes Offshore-Windrad. Wenn man die Batterien für die Glättung des Angebots berücksichtigt, dann landen wir bei 5 - 10:1.
  • Solar: 4:1 ungepuffert (nur die Solarzellen), 1,5:1 gepuffert (Solarzellen plus Batterie)
  • 2,5 bis 3:1 für Biodiesel
  • Kernkraft: 100:1

Dazu kommen noch einige kleine Gemeinheiten wie die Tatsache, dass das letzte Jahrzehnt durch niedrige Energiepreise und niedrige Zinsen gekennzeichnet war. Das bedeutet:

  1. Die neun Tonnen Kupfer, die man für den Generator einer 1,5 MW-Windmühle braucht waren billig zu haben und
  2. der Kredit, mit dem man das das Kupfer gekauft hat, kam mit moderaten Zinsen.

Die großen Ölfirmen des Westens haben seit Jahren ESG-getrieben ihre Ölfelder mit einem EROEI von 30:1 vernachlässigt und statt dessen in Wind und Sonne mit einem EROEI von 10:1 investiert. Damit hat der OPEC das, was man mit "Preissetzungsmacht" umschreibt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Politik wünscht, dass sich energiemäßig alles in Richtung A bewegt, die Physik und die Kapitalmärkte bewegen sich in Richtung B. Dieses Ringen bringt Volatilität. Da Energie die Basis von allem ist, wirkt sich diese Volatilität auf alle Lebensbereiche aus.
Dazu lesenswert: Vaclav Smil "Energy and civilization - a history"*. Das Thema: Energie ist die einzige universelle Währung; sie ist notwendig, um etwas zu erreichen. Keine Energie, keine Zivilisation. Eine energiearme Zukunft nennt man Dystopie.
Wenn Sie kein Buch lesen wollen: In ihrem Video "History of Energy" haben Goehring & Rozencwajg die letzten 2.000 Jahre energiemäßig in 30 Minuten zusammengefasst:

Und jetzt?

Ok, also Schluss mit dem ETF-Sparplan, rein in die Rohstoffe?
Nein, nicht im geringsten. Es gilt nach wie vor:

  1. Et ist wie et is
  2. Et kütt wie et kütt
  3. Aber et hätt noch immer jotjegange.

Nur: Wann das "jotjegange" eintrifft, darüber sagt der kölsche Dreisatz nichts aus. Deshalb:

Mein Vorschlag

Ray Dalio hält auf seiner Web-Site zum Buch noch einige Goodies bereit. Mein Favorit: Das Whitepaper "Paradigm Shift". Hier analysiert Ray Dalio, wie sich seit 1920 Dekade für Dekade das Gleiche abspielt: Jedes mal glauben die Menschen, dass die neue Dekade in etwa so wird, wie die alte - und dann wird doch alles ganz anders.

Lesen Sie Dalios Buch und schauen Sie sich auf den beiden Web-Sites um. Entscheiden Sie dann,

  1. in welchem Segment des Auf und Ab Deutschland sich gerade befindet,
  2. wie das zu Ihrem Alter und Ihrer Lebenssituation passt.

Daraus ergibt sich dann Ihre persönliche Assetallokation.

Persönliches Fazit

Um noch einmal auf Bismarck zurückzukommen: Bei der ersten und zweiten Generation kann man long gehen und alles aussitzen, bei der dritten wird die Volatilität schon stärker. Die vierte kann man nur noch shorten.

Als Familienvater und Ehemann bin ich jedenfalls froh, neben meinen Aktien-ETFs auch Trendfolger und Longvola-Fonds zu besitzen. Das hat mich dieses Jahr knapp über Null gehalten. Viel wichtiger ist für mich aber der Seelenfrieden:

  • Als reiner ETF-Anleger krieg’ ich Schnappatmung, wenn einer unser Qualitätspolitiker erklärt, dass Firmen ja nicht insolvent werden, sondern nur aufhören zu produzieren.
  • Als Trendfolger sage ich mir: Kein Politiker ist unnütz, man kann ihn immer noch shorten.

Und jetzt finde ich es ganz wunderbar, in einem Land zu leben, das ein Abstraktionslevel erreicht hat, dass es ermöglicht sein Geschlecht jährlich zu wechseln. Ich könnte mich für Eva-Melody erwärmen. Man muss sich halt anpassen.


* Affiliate-Link, ich erhalte eine kleine Provision, für Sie wird das Buch nicht teurer. Ich würde beide beiden Büchern vom Hörbuch abraten, da Tabellen und Diagramme wesentliche Informationsträger sind.

(awa)

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