22. Juni 2023
Die heilige Dreifaltigkeit des Investierens
Unkorreliertheit, Rebalancing, Volatilität sind die drei Stellschrauben zum Finanzglück.
Ein kleines Gedankenexperiment: Ein Depot besteht besteht aus zwei Assets und ist 200 Euro wert. Asset 1 und Asset 2 sind je 100 Euro wert. Nach zwei Jahren ist der Wert der beiden Assets um je 20 % gestiegen. Beide sind jetzt 120 Euro wert, das Depot steht damit bei 240 Euro. Soweit reines Kaufen und Halten. Die Detailbetrachtung ergibt: Die beiden Assets erreichen ihr Ziel auf unterschiedlichen Wegen.
- Asset 1: 20 % im ersten Jahr, 0 % im zweiten Jahr
- Asset 2: 0 % im ersten Jahr, 20 % im zweiten Jahr
Das ist unsere modellhafte Unkorreliertheit.
Jahr 1
Asset | Start | Gewinn Jahr 1 | Rebalancing am Jahresende | Endwert |
---|---|---|---|---|
1 | 100 € | 20 % (20 €) | Verkaufe für 10 € | 110 € |
2 | 100 € | 0 % (0 €) | Kaufe für 10 € | 110 € |
Depotwert | 200 € | 10 % (20 €) | - | 220 € |
Jahr 2
Asset | Start | Gewinn Jahr 2 | Endwert |
---|---|---|---|
1 | 110 € | 0 % (0 €) | 110 € |
2 | 110 € | 20 % (22 €) | 132 € |
Depotwert | 220 € | 10 % (22 €) | 242 € |
Unser "free lunch": 2 Euro, die 0,8 % der Gesamtsumme von 242 Euro entsprechen. Nicht viel - aber mit etwas Geduld und über einen Börsenzyklus kann daraus eine ganz beachtliche Summe werden. Und das Ganze, ohne dass Sie ein zusätzliches Risiko eingehen müssen. Deshalb "free lunch".
Jetzt mehr Volatilität
Unsere Unkorreliertheit behalten wir bei, zusätzlich erhöhen wir die Schwankungsbreite unserer Assets.
- Jahr 1: Asset 1 gewinnt 25 %, Asset 2 verliert 4 %
- Jahr 2: Asset 1 verliert 4 %, Asset 2 gewinnt 25 %
Kaufen und Halten
Asset | Start | Jahr 1 | Jahr 2 | |
---|---|---|---|---|
1 | 100 € | 125 € | 120 € | |
2 | 100 € | 96 € | 120 € | |
Depotwert | 200 € | 221 € | 240 € |
Wie im ersten Beispiel: Kaufen und Halten bringt 240 Euro.
Jetzt mit Rebalancing nach dem ersten Jahr.
Jahr 1
Asset | Start | Jahr 1 | Rebalancing | Nach Rebalancing |
---|---|---|---|---|
1 | 100 € | 25 % (25 €) | Verkaufe 14,50 € | 110,50 € |
2 | 100 € | - 4 % (- 4 €) | Kaufe 14,50 € | 110,50 € |
Depotwert | 200 € | 10,5 % (21 €) | - | 221 € |
Jahr 2
Asset | Start | Jahr 2 | Endwert |
---|---|---|---|
1 | 110,50 € | - 4 % (4,42 €) | 106,08 € |
2 | 110,50 € | 25 % (27,63 €) | 138,13 € |
Depotwert | 221 € | 10,5 % (23,21 €) | 244,21 € |
In der Praxis vermindern die folgenden drei Punkte die Rendite:
- Die Unkorreliertheit ist nicht so perfekt. Daran lässt sich nichts ändern. Aber wenn Sie bei der Unkorreliertheit darauf schauen, dass sie auch in Krisenzeiten halbwegs hält (oder sich sogar verstärkt), dann sollten Sie in der Praxis ganz gut hinkommen. Muss ja nicht perfekt sein. Gut genug reicht.
- Steuern: Bis 1.000 Euro rebalancen Sie steuerfrei. Es sei denn, Sie sind einkommensorientiert und brauchen den Freibetrag für Ihre Ausschüttungen. Dann können Sie aber immer noch mit frischem Geld rebalancen.
- Handelsgebühren: Sollte heute bei den Neobrokern kein Thema mehr sein. Ein Euro pro Trade oder gar eine Flatrate: Handelsgebühren haben heutzutage ihren Schrecken verloren.
Aber es bleibt dabei:
So unkorreliert wie möglich, ordentlich Volatilität dazu und dann stur rebalancen. Die Formel fürs Depotwachstum.
Unkorreliertheit plus Rebalancing verwandelt eine schlechte Eigenschaft (Hilfe, mein Depot schrumpft) in eine gute (mein Depot füllt sich mit zusätzlichen Anteilsscheinen). Das ist dieses "antifragil", von dem der gute Taleb immer spricht.
Antifragil = profitiere, wenn es stressig wird
Deshalb rege ich mich auch so auf, wenn Anleger Ihr Depot Zeile für Zeile durchflöhen und alles auf den Prüfstand stellen. Ein Depot hat ganz andere Eigenschaften als seine Bestandteile.
Die Älteren unter uns kennen noch die Zeiten, bevor McKinsey und die Controller die Firmen verwüsteten und danach jede Abteilung auf einmal ein verdammtes Profitcenter war. Wo man früher als Firma gedacht hat und abteilungsübergreifend Werte geschaffen hat, regierte nun der blanke Egoismus. Die Nachbarabteilung will etwas? Soll sie dafür zahlen. Das Ergebnis: Die Nachbarabteilung schreibt den Job aus und lässt ihn dann extern für das doppelte Geld in halb so guter Qualität erledigen.
Das geht einige Jahre gut und die Controller sind glücklich. Die glauben ja immer: Wenn Excel und die Realität kollidieren, umso schlimmer für die Realität.
Aber das sich dabei die ganzen immateriellen Werte wie Firmenstolz und Zusammengehörigkeitsgefühl in Luft auflösen sehen sie nicht. Und so kracht das Ganze dann unvermeidlich nach einigen Jahren zusammen.
Wenn Sie Ihr Depot Zeile für Zeile bewerten, sind Sie nicht besser als das grenzdebile Top-Management. Es mag sein, dass Sie damit kurzfristig besser fahren als mit einer Depotstrategie - aber Ihr immaterieller Wert heißt "guter Schlaf" und den riskieren Sie mit Ihrer Zeilenorientierung.
PS
Mit Einzelaktien funktioniert das nicht. Jede Wirecard kann auf Null gehen. Die Legosteinchen für dieses Spiel sind die Sammelanlagen. Nur bei einer Sammelanlage - wie beispielsweise einem ETF - ist sichergestellt, dass das Investment nicht auf Null geht.
Und sollte der MSCI World jemals auf Kurs "Limes gegen Null" gehen, heißt es sowieso:
"Cocktail ist von Molotow, Hauptgang heisst Kalaschnikow."
(EAV - Die Russen kommen)