31. Juli 2017


Podcast: Psychologische Fallstricke – Der Finanzwesir rockt, Folge 41

Excel rockt!
Leider nur bedingt.
Excel sagt ganz trocken: A1 - B2 = -5 %
Unser Gehirn interessiert das nicht, denn es funktioniert wie das Setup eines Metal-Gitarristen. Der Ton wird erst einmal durch eine Kette emotionaler und kognitiver Verzerrungen gejagt und bricht dann brüllend laut über uns herein.

  • -5 %, das kann bedeuteten: VERKAUFEN!!!!!!!
  • -5 % kann aber auch heißen: KAUFEN!!!!!!

Ruhe ist erste Bürgerpflicht! Raus aus dem Moshpit der Emotionen.

Wir präsentieren die 8 größten Feinde der Rendite:

  1. Home-Bias: Nur was der Bauer auch kennt, nimmt er zu sich. Problem fürs Depot: Deutschland ist nicht die Welt. Viele gute Firmen haben ihren Sitz außerhalb Deutschlands
  2. Overconfidence-Bias: Es gibt einen schmalen Grat zwischen gesundem Selbstbewusstsein und Größenwahn.
  3. Self-Serving-Bias: Der kleine Bruder des Overconfidence Bias. Erfolge sind mein Verdienst, wenn’s mal nicht so läuft, ist jede Ausrede gut genug.
  4. Verlustaversion: Ein anderer Ausdruck für Besitzstandswahrung
  5. Regret Aversion: Heute schon Angst haben, womöglich morgen etwas zu bedauern. Soweit in die Zukunft muss man erst mal denken.
  6. Trend-Chasing: Klar gibt’s den Spruch "The trend is your friend". Aber was bringt es, Gewinnen hinterher zu jagen, die andere längst gemacht haben.
  7. Aktuelle Stimmung: Laufen Sie nicht jeder News-Sau nach, die durchs Dorf getrieben wird.
  8. Verwechseln von Korrelation und Kausalität. Nicht jeder, der eine Korrelation findet, darf sich eine Kausalität dazu ausdenken. Werden Sie misstrauisch, wenn Ihnen jemand den Verlauf der Aktienkurse mit einem Satz erklären will, der mit weil anfängt.

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Links zum Thema der Woche

Finanzbegriff der Woche

Der Bias – auch kognitive Verzerrung genannt – ist ein kognitionspsychologischer Sammelbegriff für systematische fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Sie bleiben meist unbewusst und basieren auf kognitiven Heuristiken.
Biase begleiten uns durchs ganze Leben. Abseits der Börse finden wir

  • den Attributionsfehler: Die Neigung, die Ursache für ein beobachtetes Verhalten zu oft in (feststehenden) "Charaktereigenschaften" der handelnden Person und zu selten in den (variablen) Merkmalen der jeweiligen Situation zu suchen
  • die Ankerheuristik: die Tatsache, dass Menschen bei bewusst gewählten Zahlenwerten von momentan vorhandenen Umgebungsinformationen beeinflusst werden, ohne dass ihnen dieser Einfluss bewusst wird
  • den Bestätigungsfehler: Die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen
  • das Hot-Hand-Phänomen: Eine zufällige Häufung von Erfolgen im Sport und Glücksspiel wird als "einen Lauf haben" oder als "Glückssträhne" angesehen.
  • den Gender-Bias: Die Neigung, Rollenklischees entsprechende Vermutungen anzustellen (Baggerführer = Mann, Kindergärtnerin = Frau).
  • den Default-Effekt: Übermäßige Bevorzugung derjenigen Option, die in Kraft tritt, wenn ein Agent keine aktive Entscheidung trifft.
  • Déformation professionnelle: Die Neigung, eine berufs- oder fachbedingte Methode oder Perspektive unbewusst über ihren Geltungsbereich hinaus auf andere Themen und Situationen anzuwenden
  • den Dunning-Kruger-Effekt: Tendenz inkompetenter Menschen, das eigene Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen, Dunning und Kruger hatten in vorausgegangenen Studien bemerkt, dass etwa beim Erfassen von Texten, beim Schachspielen oder Autofahren Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen.

Buchempfehlung des Finanzrockers

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Kommentare

ChrisS sagt am 31. Juli 2017

Bei der Verlustaversion habt ihr die meiste Zeit eigentlich nur darüber geredet, das Verlierer-Aktien zu lange im Depot gehalten werden (die Aversion also dagegen besteht, die Verluste "zu realisieren"), aber ich würde da schon viel früher ansetzen, und zwar beim eigentlichen Hauptproblem vieler Anfänger-Anleger, die sich zum ersten mal von der "kann auf jeden fall nicht weniger werden"-Sparkonto-Sicherheit in schwankende Börsenanlagen begeben - oder eben nicht, weil das ja grad der Punkt ist wovor sie sich so sorgen dass sie entweder garnicht einsteigen oder hypernervös bei jedem kleinen zwischenzeitlichen normalen -5% Minus schon panisch die Reißleine ziehen und verkaufen (weil sie es eben nicht gewöhnt sind).
Da geht es also psychologisch um was ganz anderes als jetzt zB noch jahrelang tiefrote Depotleichen mit sich rumzuschleppen anstatt vernünftigerweise abzustoßen, da geht es im Gegenteil eigentlich darum das schon viel zu früh und viel zu vorschnell abgestoßen wird, (weil oh Gott herrje Verluste, die Welt geht unter - und vor allem der Hintergedanke "das kann ja nur noch weiter runtergehen, deshalb rette ich mein ganzes Geld lieber gleich") anstatt eine gewisse nötige abgehärtete Durchhaltefähigkeit zu entwickeln.
Wie man die entwickelt haben wir ja schon in dutzenden Artikel thematisiert, also das man sich erstens klar wird welche Bewegungen (nach oben und nach unten, vor allem) an der Börse eigentlich "normal" sind (Analyse der historischen Renditeverteilungen), also man selbst als Langfristanleger für die Zukunft auch erleben wird und damit umgehen können muss.
Das Einstellen darauf wird halt maßgeblich über die Assetallokation nach Risikotoleranz (der -50% Crashtest, investiere nur soviel Geld in Aktien dass du auch eine Halbierung davon noch ertragen könntest - um eben nicht den Fehler zu machen, panisch vorschnell zu verkaufen), welche einem zumindest psychologisch eine gewisse "Kontrolle" gibt: man kann zwar nicht die Kurse an sich bestimmen, aber wenigstens durch Bestimmung des Exposures die Auswirkungen der Kurse auf das eigene Gesamtvermögen in selbstgewählten Grenzen halten.

Zur Verlustaversion lässt sich ja die mittlerweile zahlreich belegte verhaltenspsychologische Erkenntnis erwähnen, dass das Empfinden von Gewinn und Verlust eben nicht symmetrisch ausgeprägt sind.
Der Schmerz beim Verlust eines Betrages X wiegt stets schwerer als die Freude über den Gewinn (des exakt gleichen) Betrages X, und zwar ungefähr doppelt so stark. Das heißt erst beim Verhältnis 2:1 von Gewinn und Verlust überwiegt das wieder.
Obwohl das augenscheinlich eigentlich erstmal unvernünftig wirkt, hat ein solches Schwererwiegen der Verlustseite doch auch mathematisch eine gewisse Berechtigung, denn Verluste sind immer schwerer wieder aufzuholen, je tiefer sie fallen.
Wer von einem Wert -10% verliert, brauch eben nicht nur 10% um wieder auf null zu kommen, sondern 11,1%, wer -25% verliert braucht 33% Gewinn, und wer -50% verliert muss schon auf 100% Anstieg, also eine Verdoppelung, hoffen.

Auch habt ihr in diesen Punkten die Wertpapiere irgendwie zu sehr auf die Einzelaktie reduziert, bzw. über den fundamental wichtigen Unterschied in der Behandlung von Einzelaktien und breit diversifizierten Welt-ETFs hättet ihr nochmal etwas deutlicher eingehen können.
Vernünftigerweise macht man sich ja vor jeder Investition "Entry-" und "Exit-"Gedanken, also "welche Bedingungen/Kriterien müssen erfüllt sein, damit ich eine Investition (zB in Aktie X) eingehe?" und "was muss passieren, damit ich mich von der Investition X wieder trennen würde?".
Meist wird das ganze in systematische Strategiemodelle gegossen, also zB der Fundamentalwert-Aktieninvestor hat halt seine paar Kennzahlen, wenn die so-und-so aussehen ist die Aktie ein Kauf, und bei so-und-so würde sie eben wieder verkauft.
"Depotleichen" erledigen sich bei so einer planvollen Herangehensweise eigentlich von selbst, weil man sich ständig überprüft: "Was waren die Gründe, warum ich diese Investition getätigt habe? Bestehen diese Gründe aktuell auch immer noch?
Wenn ja, Aktie einfach weiter halten (es ist also keine "Depotleiche" im eigentlichen Sinne, weil man noch eine berechtigte Überzeugung hat). Und wenn nicht - kurz und schmerzlos davon trennen, und das Geld wieder in andere Investitionen, für die es bessere Gründe gibt, stecken."

Jetzt ist dabei aber der Knackpunkt, das man einen MSCI World ETF beispielsweise natürlich nicht nach den gleichen Schemata behandeln kann wie eine jeweilige Einzelaktie.
Wenn eine einzelne Aktie Verlust macht, wird man genauer hinschauen müssen (zB ob der Verlust überproportional im Verhältnis zum Gesamtmarkt ist, es also vielleicht Anzeichen gibt dass das Unternehmen in speziellen Schwierigkeiten steckt - welche auch die fortgesetzte Investitionsberechtigung gefährden und daher eine Trennung nötig machen könnten), denn einzelne Unternehmen können im Extremfall bis zur Totalpleite abrauschen (welche niemand ohne überzeugende Gründe (siehe oben) komplett mitmachen muss).
Im Gegensatz zu einzelnen Unternehmen werden jedoch so breite Indexfonds wie MSCI World etc niemals auf null fallen (oder sagen wir mal so rum: wenn das passieren würde, was ja mit einem Totalzusammenbruch der ganzen Weltwirtschaft einherginge, hätten wir eh ganz wichtigere Sorgen als nun unseren Depotwert), sondern haben sich von allen Verlusten auch wieder (mehr als) erholt, was nicht zuletzt mit dem eingebauten "Selbstheilungs"-Prozess der Indexkonstruktion zusammenhängt.
Einzelne Firmen können und werden mal pleitegehen (mit entsprechenden Totalverlusten bei ihren Einzel-Anlegern), und werden aus dem Index entfernt, aber dafür steigen ja auch wieder andere Firmen auf - das ganze ist also ein fortlaufendes "survival of the fittest", von dem der Index-Anleger die langfristige positive Durchschnittsrendite des Gesamtmarktes bekommt, ohne wie gesagt selbst die einzelne Auswahl-Arbeit leisten zu müssen, schon vorher die "Gewinner" von den "Verlierern" herauspicken und ständig überprüfen/anpassen zu müssen. Das hatten wir ja in den Artikeln zu Aktien-Strategien schon thematisiert.
Ein breiter ETF wie auf dem MSCI World kann also aus Sicht der passiven Grundstrategie eigentlich nie zur "Depotleiche" werden, da es die rational-evident berechtigte Überzeugung gibt, dass er sich von allen Verlusten immer wieder erholen wird (sonst nämlich ein Verkaufskandidat wäre) - natürlich muss der Anleger noch die entsprechende langfristige Durchhaltefähigkeit mitbringen, denn ein paar Jahre kann die Durchschreitung des Tals schon dauern.
Im Gegensatz zu Einzelaktien gibt es also, zumindest aus Sicht der eigenen Kursentwicklungen, nie wirkliche "Verkaufsgründe" (die sind dann eher in der Meta-Ebene, also zB der Risiko-Allokation zu finden), die passive Strategie sagt hier also einfach nur stur halten und sogar noch immer weiter zukaufen.

Was die Psychologie allgemein angeht, haja, das Wissen und die Theorie ist halt immer nur die eine Seite - also haben sollte man es schon, aber die schwammigen Gefühlskomponenten, die halt auch unsere Entscheidungen maßgeblich bestimmen, können durch solche "akademischen Trockenübungen" nur bedingt beeinflusst werden.
Es ist halt was anderes, einfach nur auf dem Papier/Excel vorher einen Verlust von -10% neutral von aussen anzusehen, oder ihn wirklich live mal mit seinem eigenem Geld mitzumachen.
Da rechnen die meisten Menschen interessanterweise innerlich nicht mehr abstrakt in Prozenten, sondern konkret in absoluten Eurobeträgen, und man fühlt ganz anschaulich, wie man zB den Gegenwert eines Monatsgehaltes oder eines Neuwagens "verloren" hat.
Da die nötige psychologische Abhärtung (ich nenns die "Hornhaut im Kopf") zu entwickeln, solche Vergleiche eben sein zu lassen und sich davon eben nicht die Stimmung zu vermiesen (wo eben auch die erhöhte Gefahr panischer Fehlhandlungen lauert), kann am Ende auch nur durch gelebte Erfahrung geleistet werden, und die wird am besten, wie alles was man lernt, schrittweise in "verdaubaren" Häppchen angeschafft.
Man wird ja im Schwimm-Unterricht auch nicht gleich vom 5-Meter Brett geworfen (was in der Metapher eben meist den sprichwörtlichen Untergang zur Folge hat), sondern übt sich langsam vom flachen Ende des Beckens heran indem man durch Erfahrung Sicherheit gewinnt.
Darum geht es auch, wenn wir hier oft den Anfängern und Einsteigern empfehlen, nicht gleich ihr ganzes Vermögen am Anfang komplett in den Aktienmarkt zu stecken, sondern sich mit etwas Zeit (die man halt braucht um sich an die Schwankungen des Börsenwassers zu gewöhnen, um bei der Metapher zu bleiben) auch die nötige Souveranität zu entwickeln.
Das ist halt dem Umstand geschuldet, dass sich für die meisten Beginner ein 10% Verlust bei einer 100.000€ Anlage noch ganz anders anfühlen würde als ein 10% Verlust bei "nur" einer 10.000€ Anlage (sie bei ersterem also schneller und leichter aufgeben würden). Hat man die ersten Schwankungen mit wenig Anfangsgeld erstmal überstanden, weiß also wie sich das anfühlt und hat die nötige Erfahrung entwickelt damit umzugehen ohne aufzugeben, kann man dann auch wieder auf der nächste Stufe nachlegen und nähert sich so Schritt für Schritt auf seinen vollen Investitionsbetrag an.


Daniel sagt am 31. Juli 2017

Risikoaversion (nicht investieren) ist nicht das gleiche wie Verlustaversion (Verluste nicht realisieren). Beides sind unterschiedliche Verhaltensweisen, die man unterschiedlich "bekämpfen" kann.

Und zum Thema Bias und Verhaltenspsychologie darf eigentlich "Schnelles Denken, Langsames Denken" als Literaturtipp nicht fehlen. Ist schließlich das weltbeste Buch zum Thema.


Marius sagt am 31. Juli 2017

@Chris

Ist es nicht gleich wahrscheinlich, dass sich ein Wert um 25% verringert wie dass er sich um 33,3% erhöht oder dass er sich halbiert oder verdoppelt (-50% und +100%)?

Ansonsten müssten wir doch schon alle erstickt oder erfroren sein, da ja der Luftdruck auch um 11,1% steigen muss nachdem er um 10% gefallen ist um wieder seinen alten Wert zu erreichen. Das gleiche mit der Temperatur.


Zahnstocher sagt am 31. Juli 2017

@Marius

+100% sind sogar wahrscheinlicher als -50%, wenn man davon ausgeht, dass der Nominalwert einer Anlage langfristig steigt :)


ChrisS sagt am 31. Juli 2017

@ Marius

"Ist es nicht gleich wahrscheinlich, dass sich ein Wert um 25% verringert wie dass er sich um 33,3% erhöht oder dass er sich halbiert oder verdoppelt (-50% und +100%)?"

Kommt darauf an, was man genau betrachtet.

Die "Labor-Untersuchungen" dazu werden ja meist auf definierte "Spiele", also Glücksspiele mit vorher festgelegten Erwartungswerten (wie hoch/niedrig ist der Einsatz/Gewinn/Verlust, und wie sind die definierten Eintrittschancen der Fälle) angelegt. Dann kann man zB ganz genau bestimmen, okay es gibt die und die Prozent Wahrscheinlichkeiten auf das und das Ergebnis.

Bei den Börsenkursen ist das jedoch natürlich leicht etwas anderes, da die eben nicht so schön kontrolliert und beliebig oft (quasi per Zufallsgenerator) reproduziert werden können wie die Spielchen im luftleeren akademischen Raum.

Wenn einen da nun genauer interessiert, wie hoch zB die Wahrscheinlichkeit auf einen 25% (oder 50%) Verlust, oder einen 33% (oder 100%) Gewinn ist, lassen sich dazu nur als Orientierung (die nur bedingt auf die sich ja fortlaufend weiter verändernde Zukunft als Vorhersage zu gebrauchen sind) grobe Richtwerte aus der historischen Renditeverteilung ableiten.

Also man nimmt den langfristigen Kursverlauf eines Index, zB amerikanische Largecaps (weils dafür schön lange Zeitreihen gibt) und kann mit ein paar relativ simplen Excelformeln zb Fragen wie "wie oft befand sich der Index -25% unter seinem letzten Hoch?" oder "wie oft stieg er 33% seit seinem letzten Tief?" beantworten. Das spannende an der Sache ist, das die ganze Geschichte eben nicht exakt symmetrisch abläuft - das kann jeder ja schon leicht daran erkennen das der Aktienmarkt einen allgemeinen laaaangfristig betrachteten Aufwärtstrend hat. Die Gewinne scheinen also zu überwiegen.
Jedenfalls ist es nicht so, wie bei einem simplen symmetrischen Glücksspiel (zB "Kopf oder Zahl") dass die Höhe und Wahrscheinlichkeiten der Gewinne und Verluste exakt gleich sind. 50%-Anstiegsphasen tauchen zB öfter auf als -50% Crashs, auch sind Gewinne von mehreren hundert Prozent möglich in jahrelangen Hausse's, während Verluste ja schon theoretisch nicht größer als 100% sein können (und praktisch auch nicht sind, sondern wie gesagt, an der Verteilung sieht man dass ugf jedes Jahrzehnt mal Verluste so in der Größenordnung von 30~50% vorkommen können, und danach tut man sich davon wieder (mehr als) erholen).

"Ansonsten müssten wir doch schon alle erstickt oder erfroren sein, da ja der Luftdruck auch um 11,1% steigen muss nachdem er um 10% gefallen ist um wieder seinen alten Wert zu erreichen. Das gleiche mit der Temperatur."

?? Äh nein, Temperaturen und so sind natürlich schon etwas anderes als Aktienkurse :-D
Die wachsen ja auch nicht so in den Himmel.
Das Prozentprinzip (also das man immer etwas mehr Prozente braucht, um einen Verlust wieder aufzuholen) funktioniert aber auch hier genauso, das hat damit nichts zu tun.
Wenn die Temperatur von 20° um 10% fällt - also auf 18° - muss sie, um wieder auf 20° zu kommen, um 2° steigen. 2° von 18° (nicht 20° ;-) sind jedoch schon 11,11%.
Das alles ist halt relativ (also auf einen - sich verändernden - Referenzwert) bezogen, daher prozentual, und nicht absolut wie in den (an sich ja gleichen 2°) Gradangaben. Dadurch wird die Temperatur ja auch nicht "mehr" und steigt nicht endlos in den Himmel, weil sie ja immer im Jahresverlauf um einen Mittelwert herumschwirrt (haja, mean reversion auch hier :-D)

@ Daniel

"Risikoaversion (nicht investieren) ist nicht das gleiche wie Verlustaversion (Verluste nicht realisieren). Beides sind unterschiedliche Verhaltensweisen, die man unterschiedlich "bekämpfen" kann."

Die Unterscheidung kann man machen. Wenn wir das mal genauer aufdröseln versteckt sich hinter dem Begriff "Risiko" ja eigentlich auch immer nur die "Unsicherheit" - die Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Ereignisse (zB der Gewinn oder Verlust von Finanzinvestitionen) kann nicht genau im voraus gewußt werden, das gewünschte Ergebnis (Gewinn) ist also immer mit einer mehr oder weniger großen Portion Unsicherheit (ob nicht auch das ungewünschte Ergebnis Verlust eintritt) verbunden.
Die Risiko-Aversion oder auf der anderen Seite Risiko-Bereitschaft ist nun das jeweils individuell ausgeprägte Verhältnis, welche Art von "Payoff-Modellen", also Auszahlungsfunktionen, ein Anleger bevorzugt bzw bereit ist einzugehen.
Manche bevorzugen den eher kleinen (=Höhe), aber dafür viel sichereren (=Wahrscheinlichkeit) Gewinn, wie man ihn zB bei Tagesgeldzinsen oder sonstigen "ruhigen" Anlageformen findet, andere sind auch bereit, für die Aussicht auf höhere Gewinne auch die größere Unsicherheit, zB bei Aktien, auf sich zu nehmen.
Gemäß der finanzakademischen Theorie von Risikoprämien sieht man ja auch, wie beides immer untrennbar miteinander im Zusammenhang verbunden ist.
Wobei wieder bei breiten Aktienindizes natürlich, im Ggs zu reinen Glücksspielmodellen, wie oben schon erwähnt, die Unsicherheit auf einen Ausgang mit Verlust ja schon allein nur durch lange genug durchhalten wegnivelliert wird auf die Angleichung an die langfristige positive Durchschnittsrendite. Roulette oder so kennt eben kein "buy and hold". :-D


ChrisS sagt am 01. August 2017

Nachtrag, weils so gut zum Thema passt "in welcher Höhe und Häufigkeit sind Anstiegs- und Abschwungsphasen an der Börse verteilt?", hier mal eine schöne Grafik dazu

"History of US Bear- and Bull-Markets since 1926" - First Trust

Durch die rückversetzte Einteilung der Auf- und Abschungsphasen bekommt man auch eine neue Perspektive auf die langfristigen Kursentwicklungen, die man so bei den normalen Charts sonst nicht hatte. Das unterstreicht auch allein visuell schon eindrucksvoll die Tatsache der "Asymmetrie" der Börse, also das die Gewinnphasen in Höhe, Länge und Anzahl langfristig überwiegen.


Verlustrealisierer sagt am 01. August 2017

@ChrisS

Ab wann wird denn eine normale "Verliereraktie" (d.h. einen Verlust, den man aushalten können muss) zur "Depotleiche"?

Die Grenzen erscheinen mir doch recht fließend.


ChrisS sagt am 01. August 2017

| @ Verlustrealisierer

"Ab wann wird denn eine normale "Verliereraktie" (d.h. einen Verlust, den man aushalten können muss) zur "Depotleiche"? Die Grenzen erscheinen mir doch recht fließend."

Das sind sie - die Grenzen sind nicht nur fließend, sondern auch noch von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Die Begriffe sind ja auch alle nicht irgendwo wissenschaftlich exakt definiert verwendet, sondern jeder stellt sich teilweise was anderes darunter vor und hat seine eigenen Einteilungen dazu.

Die Frage, was sie damit genau meinen (und wo der Unterschied liegt), könnte also auch an den Finanzrocker&Wesir gehen, die den Begriff Depotleiche etc ja selbst zuerst im Podcast in den Raum geworfen haben.

Wie ich für mich persönlich (also ohne Absolutheitsanspruch) die Sache erklären würde, habe ich ja eigentlich oben schon beschrieben - wenn das noch nicht deutlich klar genug herausgekommen ist, versuch ichs hier gern nochmal.
Idealerweise gehen Anleger ja mit einem bestimmten Plan an ihre Investitionen heran (ja - das ist Wunschdenken, in der Realität gibt es bei vielen Leuten auch leider ein eher relativ planloses Vorgehen), das heißt sie haben sich ein paar Gründe/Bedingungen/Kriterien herausgearbeitet, warum sie zum Beispiel ein Investment in Aktie X (und nicht in Aktie Y oder Z...) tätigen.
Diese Gründe sollten in regelmäßigen Abständen überprüft und abgefragt werden - bestehen sie immer noch ? Also habe ich eine berechtigte Überzeugung, warum die Aktie immer noch eine lohnenswerte Investition sein wird (man kann das vereinfacht auf den Punkt bringen mit der simplen Frage: "würde ich die Aktie heute auch noch kaufen wollen?"). Wenn das so ist, dann hält man die Aktie einfach weiter - auch und gerade durch zwischenzeitliche Abschwungphasen hindurch, weil ja nur das eben gerade die Phasen sind wo man die Überzeugung zum festhalten wirklich braucht.
(Natürlich kann dabei der Übergang, wann statt "berechtigter/vernünftiger Überzeugung" bei manchen nur noch "irrationale Hoffnung" übrigbleibt, fließend und individuell sein.
Eine relativ simples Vorgehen, um nicht in diese Gefühls-Falle zu tappen wäre statt schwammiger subjektiv-interpretierbarer Kriterien sich lieber knallharte unbeeinflussbare Zahlen/Fakten-Grenzen zu setzen, zB ein Verlustlevel ab dem man akzeptiert eingesteht dass seine Investitionserwartung doch nicht eingetreten ist und sich trennt.
Das hat natürlich auch seine eigenen Probleme und ist nicht die perfekte Lösung für alle Situationen, manchmal gibts ja noch die tolle Turnaround-Story (von der jeder hofft), aber so verzichtet man wenigstens darauf, ewig weiter an niedergehenden Aktien festzuhalten, bei denen dann der Turnaround eben doch nie kommt).
Also nochmal, bei jeder Investition gibt es vorher die Überlegung "was sind die Gründe, warum ich in XY investiere?", und dazu eigentlich auch "was müsste passieren, dass ich mich von XY wieder trennen würde?".
Wie und was genau diese Gründe sein sollen, haja, dafür gibt es zB tausende Aktien-Strategien (einige davon wurden ja in den letzten Podcasts vorgestellt), und millionen Methoden, sie kombiniert anzuwenden.
Wie schon erwähnt kann man sich zB eine Aktie nach Fundamentalzahlen auswählen indem man auf günstige Bewertungen und profitable Bilanzqualitäten achtet, und hält die Aktie dann eben solange wie die Zahlen im Rahmen des festgelegten Systemschemas attraktiv bleiben.
Die Entry- und Exit-Kriterien sind also "symmetrisch", in dem sinne als dass die gleichen Bedingungen, die für einen Kauf/Halten erfüllt sein müssen, auch darüber entscheiden, wann eine Aktie wieder verkauft werden sollte, wenn sie eben nicht mehr erfüllt sind.
(Übrigens, uns allen fallen natürlich auf der anderen Seite auch viele eher schlechte "Gründe" ein, warum man eine Investition getätigt hat. Die typischen Dinge, die dabei in der Fehlergalerie so auftauchen.
Sachen wie "das ist in den letzten Jahren schon stark gestiegen, das wird also so weitergehen" wurden ja schon erwähnt, auch viel zu verbreitet sind so naive "Das hab ich irgendwo mal so gelesen / mein Bankberater hat mir empfohlen..." usw. Mit so einer schlechten Ausgangsbasis ist dann natürlich die spätere Enttäuschung meist vorprogramiert.)

Natürlich gibt es auch noch viele andere mögliche Kriterien, Strategien und Methoden (und man kann sie auch endlos kombinieren) um systematisch die Entscheidungen treffen zu können, wann und vor allem warum man bestimmte Aktien kauft und eben (wann und warum) auch wieder verkauft. Wichtig ist halt nur das man so ein System hat, damit die Vorgehensweise eben nicht planlos nur schwammig-gefühlsbasiert abläuft.
Wer ein festes System hat, an das er sich hält, kann in diesem Sinne also garkeine "Depotleichen" in seinem Portfolio haben, weil hinter allen gehaltenen Aktien (auch denen die mal zwischenzeitlich im Minus sind) immer noch eine strukturierte Überzeugung steht, warum man sie hält, und man sie ja ansonsten ganz kurz und schmerzlos schon abstoßen würde, wenn das System sie nicht mehr erwählt.
"Depotleichen" wären für mich in diesem Sinne also nur Aktien, bei denen eben keine strategiebasierte Überzeugung mehr dahintersteht, warum man sie eigentlich noch hält, ausser eben einem unstrategischen "Prinzip Hoffnung" bzw dem emotionalen nicht-eingestehen-wollens dass sich die ursprünglichen Erwartungen doch als langfristig falsch herausgestellt haben (Irrtümer einzugestehen und Fehler anzuerkennen fällt halt vielen Menschen schwer, in die Reihe der psychologischen Fallstricke könnte man also für Depotleichen auch gut die "Sunk Cost Fallacy" erwähnen https://en.wikipedia.org/wiki/Sunk_cost ).

Wichtig war mir eben dabei noch zu erwähnen (da das Hauptpublikum hier ja eher ETF-Anleger statt Einzelaktien-Anleger sind), dass zwischen den Aktien einzelner Unternehmen und so großen breiten ETFs wie den MSCI World, der eben über tausend Unternehmen enthält, schon gewisse Unterschiede bestehen (s.o), im Podcast wurde mir dazu eher zuviel nur über Einzelaktien an sich geredet.


Schwachzocker sagt am 01. August 2017

Eine "Verliereraktie" ist eine Aktie, die zwar an Wert verloren hat, von der Du jedoch noch immer überzeugt bist und die Du nochmals kaufen würdest. Eine "Depotleiche" ist eine Aktie, von der Du ehemals überzeugt warst, jedoch jetzt nicht mehr und an der Du nur noch festhältst, um den Verlust nicht realisieren zu müssen.


Dummerchen sagt am 01. August 2017

@Verlustrealisierer:
ChrisS hat es doch ziemlich klar gemacht: eine Depotleiche ist für ihn ein Wertpapier, bei dem man selbst nicht mehr davon überzeugt ist, dass es sich wieder erholen wird. Es geht (in seiner Definition) also nicht um eine Prozentzahl, sondern um die innere Einstellung zum Wertpapier.

(Einige Anleger behalten solche Depotleichen absichtlich im Depot, um an irgendwelche Fehlentscheidungen erinnert zu werden. Hört man immer mal wieder. So ne Art "Negativtrophäe".)

Ich bin sehr froh, dass ich mir als Passivinvestor solche Fragen nicht stellen muss, da ich an die steigende Grundtendenz der Aktienmärkte glaube.

Liebe Grüße
Dummerchen


Verlustrealisierer sagt am 03. August 2017

Ok, vielen Dank für Eure ausführlichen erklärungen. Gerade die Trennung zwischen Prozentzahl und innerer Einstellung macht es deutlich.

Für den einen ist beispielsweise E.on also eine "Verliereraktie" und für den anderen eine "Depotleiche".


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